Mit einer der größten Polizeiaktionen gegen Islamisten seit Jahren haben die Sicherheitsbehörden radikal-salafistischen Terror-Werbern einen neuen Schlag versetzt.

Nach monatelangen Ermittlungen verbot Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) heute die Vereinigung «Die wahre Religion», die unter dem Motto «Lies!» zahlreiche Koran-Verteilaktionen organisiert hatte. Die Polizei durchsuchte daraufhin am Morgen gut 190 Wohnungen und Büros in bundesweit mehr als 60 Städten.

Rund 140 junge Islamisten seien nach einer Radikalisierung durch «Lies!» in die Kampfgebiete der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gereist, sagte de Maizière. «Das mussten wir unterbinden.» Die Ausgereisten seien im Zusammenhang mit dem scheinbar harmlosen Verteilen von Koranen in Fußgängerzonen oder auf Plätzen radikalisiert worden. Konkrete Angaben darüber, wie viele der nach Syrien oder in den Irak Ausgereisten nach Deutschland zurückgekehrt oder etwa im Kampf gestorben sind, machte der Minister nicht.

Nach den Festnahmen von Terrorverdächtigen in den vergangenen Monaten sei es nun darum gegangen, der Propaganda den Boden zu entziehen. De Maizière warf der Vereinigung vor, dazu aufgerufen zu haben, für den Islamischen Staat zu kämpfen und zu morden. «Sie glorifiziert also Mord und Terror», kritisierte der Minister. «Die wahre Religion» wende sich gezielt an Jugendliche. «Ein solches Handeln können und wollen wir in unserem Land nicht dulden.» Deutschland sei eine wehrhafte Demokratie. «Wir wollen auch nicht, dass Terrorismus aus Deutschland exportiert wird.»

Nach dem Verbot der islamistischen Organisation Kalifatstaat 2001 handele es sich um das zweitgrößte Verbotsverfahren des Innenministeriums. Auf Werbung für islamischen Glauben ziele der Schritt nicht ab, sondern auf den Missbrauch der Religion, betonte de Maizière. Muslimischer Glaube habe einen festen Platz in der Gesellschaft.

Schwerpunkte der Polizeieinsätze, die um 6.30 Uhr zeitgleich in den neun westdeutschen Ländern und Berlin begannen, waren Hessen mit knapp 65 sowie Nordrhein-Westfalen und Bayern mit jeweils fast 35 Polizeiaktionen.

Salafisten vertreten einen am Koran orientierten besonders konservativen Ur-Islam, lehnen westliche Demokratien ab und wollen eine Ordnung mit islamischer Rechtsprechung, der Scharia.

Laut de Maizière hat «Die wahre Religion» mehrere 100 Mitglieder. Vielfach seien ihnen Verbotsverfügungen ausgehändigt worden. Über Drahtzieher oder weitere Menschen im Visier der Ermittler wollte der Minister keine Angaben machen. Der Gründer der Gruppierung, der gebürtigen Palästinenser  Ibrahim Abou-Nagie, hält sich laut Sicherheitskreisen in Malaysia auf. Vor einer Woche hatten die Behörden bei einem Schlag gegen Top-Islamisten unter anderen den als Chefideologen der deutschen Salafisten-Szene bekannten 32-jährigen Iraker Abu Walaa festgenommen.

Der nordrhein-westfälische Landtag hatte schon im Oktober gefordert, die Aktivitäten des seit Jahren tätigen Netzwerks zu unterbinden. Laut de Maizière musste der Schritt sorgfältig vorbereitet werden: «Ein frühes Verbot, was wieder aufgehoben wird, ist schlechter als ein späteres Verbot, das Bestand hat.»

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beziffert die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland bis Ende Oktober auf 9200 – Tendenz weiterhin steigend. Das Potenzial islamistisch-terroristischer Menschen wird auf etwa 1200 Männer und Frauen geschätzt. Bis Ende vergangenen Monats waren nach Angaben der Sicherheitsbehörden 870 Menschen aus der Bundesrepublik nach Syrien und in den Irak ausgereist. Darunter waren etwa 20 Prozent Frauen.

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