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Die Situation ist eigentlich paradox: Bei der Präsidentschaftswahl in Österreich und beim Verfassungsreferendum in Italien drohen der EU zwei folgenschwere Niederlagen – und Brüssel schweigt. Niemand will den Anschein erwecken, Einfluss nehmen zu wollen oder gar Katastrophenszenarien zu beschwören. Wenn Spitzenpolitiker überhaupt etwas öffentlich sagen, sind es Sätze wie diese von Manfred Weber, dem Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament: Man müsse „Europa zuhören“ und „Sorgen ernst nehmen“.
Wenn es doch nur um Sorgen und ums Zuhören ginge. Auf dem Spiel steht viel mehr. In Österreich könnte der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer die Wiederholungswahl gegen den ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen gewinnen. Zwar wäre Hofer nur ein großenteils repräsentatives Oberhaupt eines Landes, das nicht eben zu den Schwergewichten in der EU gehört – doch sein Sieg wäre ein weiteres Signal für den Vormarsch der Rechtspopulisten in Europa. „Solche Signale können wir zurzeit nicht gebrauchen“, meint Lüder Gerken, Chef des Freiburger Centrums für Europäische Politik.
In Italien drohen noch weit größere Konsequenzen. Regierungschef Matteo Renzi hat für den Fall einer Niederlage beim Referendum seinen Rücktritt angekündigt – und die Verfassungsreform, bei dem es bei der Volksabstimmung eigentlich geht, wäre tot. „Die Folgen wären dramatisch“, meint Gerken. „Ein Nein würde zeigen, dass die Reformbereitschaft in Italien gegen null tendiert. Der Euro wäre unmittelbar gefährdet.“
Analysten sehen „Italexit“-Gefahr bei 19 Prozent
Das liegt vor allem an der enormen Staatsverschuldung Italiens und der prekären Lage seiner Banken, die faule Kredite in Höhe von rund 360 Milliarden Euro in ihren Büchern haben. Eine weitere politische Lähmung dürfte kaum zur Entspannung der Situation beitragen. Entsprechend nervös zeigten sich am Freitag Europas Märkte. Der Dax rutschte zwischenzeitlich um ein Prozent ins Minus, an der Mailänder Börse spekulieren ausländische Anleger offenbar bereits auf einen Kurssturz. Schon ist von Italiens Austritt aus der Gemeinschaftswährung die Rede. Das Frankfurter Marktforschungsinstitut Sentix bezifferte die Wahrscheinlichkeit eines „Italexit“ diese Woche auf 19 Prozent.
Dahinter stehen nicht nur finanzielle und wirtschaftliche Gründe. Nach einem Rücktritt Renzis hätte die euroskeptische „5 Sterne“-Protestbewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo gute Chancen, bei Neuwahlen stärkste Partei zu werden. Im Fall Griechenlands konnte die EU mit Geld und Reformplänen einen Euro-Austritt verhindern. Doch gegen den Willen der italienischen Wähler könnte sie nichts unternehmen.
In der restlichen EU ist man sauer auf Renzi – weil er ein Vorhaben wie die Verfassungsreform auf ein „Ja“ oder „Nein“ bei einem Referendum zu reduzieren versuchte und es dann obendrein zu einer Abstimmung über seine Person erklärte. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, warum Referenden vor allem bei Populisten beliebt sind.
Dabei hätte Renzi nur Anschauungsunterricht bei David Cameron nehmen müssen. Auch der frühere britische Premier hatte versucht, mit einem Referendum den eigenen Job zu sichern und seine Partei zu einen. Das Resultat war Camerons Rücktritt, die Vorbereitungen zum EU-Austritt seines Landes laufen.
Experten warnen – und das Volk hört weg
Es gibt eine weitere Parallele zwischen Großbritannien und Italien: In beiden Ländern hat die Mehrheit von Politikern und Experten eindringlich vor den politischen und wirtschaftlichen Folgen der Referenden gewarnt. Das aber hat die Wähler nicht beeindruckt, im Gegenteil: Es war womöglich sogar kontraproduktiv. Vielleicht hatte der frühere britische Justizminister und Brexit-Befürworter Michael Gove recht: Er ließ kurz vor dem Referendum den berüchtigten Satz fallen, das Volk habe „genug von Experten“. Deshalb war es für Renzi vermutlich wenig hilfreich, dass ausgerechnet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble – der in Italien für den verhassten Sparkurs der EU steht – für ein Ja zu Renzis Reformkurs geworben hat. „Ich würde für ihn stimmen“, sagte Schäuble.
Für die EU kämen ein Nein beim Italien-Referendum und ein Sieg Hofers in Österreich zur Unzeit. Im März 2017 hofft der Rechtspopulist Geert Wilders bei den Wahlen in den Niederlanden auf einen Erfolg, in Frankreich könnte Front-National-Chefin Marine Le Pen im April sogar Präsidentin werden. Würde sie wie angekündigt den Austritt ihres Landes aus der EU betreiben, wäre das wohl das Ende für die Gemeinschaft.
Im Mai wird in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland Nordrhein-Westfalen gewählt, im September folgt die Bundestagswahl. Würde die AfD von Siegen Wilders‘ und Le Pens profitieren? Den anderen Parteien bleibt eine schwache Hoffnung, die sich aus der wachsenden Beliebtheit der EU nach dem Brexit-Referendum speist: Die Folgen der Populisten-Siege in anderen Ländern könnten auch als abschreckendes Beispiel dienen und den Populisten im eigenen Land den Wind aus den Segeln nehmen. Zumindest ein wenig.
Zusammengefasst: Die EU blickt mit Sorge auf die Abstimmungen in Österreich und Italien. Sie fürchtet weitere Erfolge von Rechtspopulisten – die im Falle Italiens zu einer Gefahr für den Euro werden könnten.
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