In Schottland und Nordirland läuft die Debatte über Volksbefragungen, wie es nach einem Brexit mit den Landesteilen weitergehen soll, seit Langem. Jetzt zeigt eine aktuelle, repräsentative Umfrage: Auch in der Gesamtbevölkerung von Großbritannien wächst die Unterstützung für solche Referenden.
Die britische Independent-Zeitungsgruppe hatte das Meinungsforschungsinstitut BMG mit einer Umfrage beauftragt, in der abgefragt werden sollte, ob ein solches Referendum für Schottland respektive Nordirland unterstützt werde. Die Befragten konnten sich zur Frage mit Ja oder Nein positionieren oder enthalten.
Die Ergebnisse zeigen ein deutliches Anwachsen der Unterstützung für solche Volksbefragungen über den Bestand der Union. Besonders deutlich fällt das Ergebnis für die irische Frage aus – wohl auch, weil sich die Durchführbarkeit des Brexit vor allem an der irisch-irischen Grenzfrage entscheidet.
Nordirland: weitgehende Zustimmung zur Referendum
52 % der 1504 repräsentativ befragten Briten befürworteten ein Referendum über die irische Wiedervereinigung, nur 19 % verneinten dies. In Nordirland selbst ist die Frage hoch umstritten, Zustimmung und Ablehnung einer irischen Wiedervereinigung entscheiden sich dort noch immer weitgehend entlang der alten konfessionellen Linie, die in Nordirland das katholisch-irische Lager vom protestantisch-britischen Lager trennt.
Auch dort bewegt sich allerdings etwas. In den letzten Wochen signalisierten prominente Vertreter des probritisch-unionistischen Lagers wie der ehemalige First Minister Peter Robinson oder die Witwe des einst radikalen Unionistenführers Ian Paisley Unterstützung für eine Wiedervereinigung, sollte die Mehrheit dies wollen. Mittelfristig ist das denkbar: In Nordirlands Politik, lange Zeit von den radikalen Polen des politischen Systems DUP und Sinn Féin dominiert, wächst der Einfluss von Parteien wie der Alliance. Die ist die einzige Partei mit einer nennenswerten Wählerschaft in beiden Teilen der Bevölkerung – zarte Zeichen einer allmählichen Annäherung.
Schottland: Wachsende Zustimmung zum Referendum
Auch in Bezug auf eine mögliche zweite Volksabstimmung über Schottlands Unabhängigkeit bejaht die größte Gruppe der Befragten ein Referendum. Eine absolute Mehrheit dafür gibt es allerdings nicht: Immerhin 45 % der Briten würden eine Abstimmung aber unterstützen. Dem stehen rund 30 % Abstimmungsgegner gegenüber – und mit 25 % relativ viele Briten, die sich in dieser Frage nicht festlegen wollen.
Auch in Schottland ist die Lage in dieser Frage nicht ganz klar. Direkt nach dem Brexit-Referendum war die Unterstützung für eine Unabhängigkeitserklärung Schottlands sprunghaft gestiegen und erreichte zeitweilig um die 60 %. Bei den letzten britischen Unterhauswahlen verlor die Regierungspartei SNP, die maßgeblich für das Unabhängigkeitsreferendum steht, jedoch ein gutes Drittel ihrer Sitze und damit augenfällig an Unterstützung. Regierungschefin Nicola Sturgeon hat ein zweites Referendum, das eigentlich schon für letztes Jahr geplant war, seitdem wieder auf Eis gelegt.
Informelle Signale aus Brüssel
Die Unterstützung für ein schottisches Unabhängigkeits-Referendum hinge wohl auch davon ab, ob Schottland Chancen hätte, dann in der EU zu verbleiben. Sehr aufmerksam verfolgten die Schotten Ende der Woche ein Interview, das die BBC mit dem ehemaligen Präsidenten des europäischen Rates Herman Van Rompuy führte.
Van Rompuy sieht eine Chance für eine schottische EU-Mitgliedschaft gegeben. Es gäbe in der EU „große Sympathie für Regionen und Landesteile, die der Europäischen Union beitreten wollen“. Für den Brexit gäbe es in der EU dagegen „weder unter Politikern noch beim Mann auf der Straße“ Sympathien.
Michael Russell, Minister für konstitutionelle Beziehungen und in der schottischen Regionalregierung zuständig für alles, was den Brexit und die Beziehungen zu anderen Staaten betrifft, entdeckt in Rompuys Aussagen einen „großen Umschwung“: Es gäbe offenbar einen „Pfad für ein unabhängiges Schottland“, in die EU zu spazieren. Ganz so einfach hatte Van Rompuy das allerdings nicht dargestellt: Natürlich müssten alle EU-Staaten dem auch formell zustimmen.
Rückblick: das erste Referendum
Das erste Referendum über eine schottische Unabhängigkeit von Großbritannien war am 18. September 2014 nur sehr knapp gescheitert. 55,3 Prozent der Schotten hatten sich damals, fast zwei Jahre vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien, gegen ein Aufbrechen des „United Kingdom“ entschieden.
Das Referendum scheiterte unter anderem daran, dass es den Gegnern der schottischen Unabhängigkeit besser gelang, ihre Wählerschaften zu mobilisieren als den Befürwortern. Bei der Brexit-Abstimmung 2016 votierten 62 % der Schotten für einen Verbleib in der EU. Die regierende Scottish National Party SNP arbeitet seitdem auf ein zweites Referendum hin.
In Nordirland ist die Möglichkeit einer Volksabstimmung über die Frage einer möglichen Wiedervereinigung mit der Republik Irland Teil des Friedensvertrages von 1998. Der enthält die Klausel, dass die Wiedervereinigung zu vollziehen sei, wenn sich die Mehrheit der Gesamtbevölkerung dafür ausspreche. Umstritten und in den letzten Wochen stark diskutiert ist die Frage, ob diese Abstimmung auf beiden Seiten der Grenze zu erfolgen hätte oder nur in Nordirland.
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