Die Evakuierungsmission in den Rebellengebieten von Ost-Aleppo kann dauern: Bis zum späten Donnerstagabend seien etwa 3.000 Zivilisten und einige Verletzte aus der Stadt herausgebracht worden, sagte die Leiterin der Mission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Marianne Gasser. Trotz Dunkelheit sei die Mission weitergegangen, die Busse seien erneut in die Rebellengebiete gefahren.

Zunächst hatte sich der Beginn der Mission verzögert. Bevor die ersten Menschen herausgebracht werden konnten, habe es Schüsse gegeben, sagte Gasser. Bis zuletzt sei nicht klar gewesen, ob die internationalen Helfer ihre Arbeit machen konnten. In den eingeschlossenen Gebieten warteten immer noch mehr als 200 Verletzte und Kranke.

Die syrische Armee rückte mittlerweile in einige frühere Rebellengebiete in Ost-Aleppo ein und hisste ihre Fahnen auf den Gebäuden. Syriens Präsident Baschar al-Assad hatte Aleppo zuvor für „befreit“ erklärt.

Vier syrische Hilfsorganisationen machen Russland unterdessen für Kriegsverbrechen in Syrien verantwortlich. In einem Brief an eine UN-Ermittlungskommission listeten die Gruppen allein 304 Angriffe in Aleppo auf, bei denen Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen internationales humanitäres Recht verstoßen habe. Die Angriffe hätten 1.207 Zivilisten getötet, darunter 380 Kindern, hieß es. Die Beweislage deute klar darauf hin, dass Russland Kriegsverbrechen in Syrien verübe oder darin verwickelt sei.

Aleppo gehörte zu den am schwersten umkämpften Orten im syrischen Bürgerkrieg. Fast seit Beginn der Kämpfe vor mehr als vier Jahren war die Stadt zwischen der syrischen Armee und bewaffneten Aufständischen geteilt. Vor einem Monat hatte die Armee zusammen mit Verbündeten eine Großoffensive auf die Rebellengebiete gestartet und fast alle Viertel im Osten Aleppos zurückerobert. Die Rebellen einigten sich mit der Führung in Damaskus auf einen Abzug.

Steinmeier und Kerry appellieren an Assad

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erleichtert, dass der Abzug trotz anfänglicher Probleme nun begonnen hat. „Wir sind froh um jedes Menschenleben, das gerettet wird und nicht in der zerbombten, verwüsteten Stadt vergeht“, sagte Steinmeier. Es sei jetzt die Verantwortung des Assad-Regimes und seiner russischen und iranischen Verbündeten, die Versorgung der Menschen zu gewährleisten und für ihre Sicherheit zu sorgen.

US-Außenminister John Kerry forderte eine dauerhafte Waffenruhe im syrischen Aleppo und sofortigen Zugang für Hilfskräfte. Er teile den Ärger, den die meisten Menschen angesichts der Attacken auf Frauen, Kinder und Hilfskräfte empfänden, sagte Kerry in Washington. Es gebe keinerlei Rechtfertigung für die Brutalität, die das syrische Regime, die Russen und die Iraner über die vergangenen fünf Jahre an den Tag gelegt hätten.

Die fliehenden Menschen dürften keinesfalls attackiert werden, sagte der US-Außenminister. Ein zweites Srebrenica – die Ermordung von etwa 8.000 Bosniaken während des Bosnienkriegs, die im Nachhinein als Völkermord eingestuft wurde – müsse unter allen Umständen vermieden werden.

Frankreich warb für die Entsendung von UN-Beobachtern nach Aleppo. Die Vereinten Nationen hatten prosyrischen Truppen vor einigen Tagen vorgeworfen, bei der Offensive auf die Rebellengebiete Häuser gestürmt und zahlreiche Zivilisten getötet zu haben. Das russische Verteidigungsministerium hatte erklärt, auch in den Gefängnissen der Rebellen seien Zivilisten gefoltert worden.

Mit dem Abzug der Oppositionellen aus Ost-Aleppo kontrolliert die syrische Armee wieder alle großen Städte im Land.

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