Die AfD hat mal wieder für einen kleinen Skandal gesorgt. „Frau Kollegin Weidel, Sie haben in Ihrer Rede unter anderem die Formulierung ‚Kopftuchmädchen … und sonstige Taugenichtse‘ gebraucht. Damit diskriminieren Sie alle Frauen, die ein Kopftuch tragen“, mahnte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die AfD-Fraktionschefin nach ihrer Rede. „Dafür rufe ich Sie zur Ordnung.“ Binnen kürzester Zeit dominierte der Eklat die Schlagzeilen.

Was ist passiert? Der Sitzungsleiter kann „zur Wiederherstellung der Ordnung bei Störungen in den Plenarsitzungen“ auf einen breiten Katalog an Maßnahmen zurückgreifen. Indem er Parlamentariern etwa das Wort entzieht, sie von Beratungen ausschließt, einen Ordnungsruf oder eine Rüge ausspricht, Äußerungen als unparlamentarisch zurückweist. Es sind allesamt unangenehme, aber in der Regel rein formelle Rüffel für die Abgeordneten und ihre Fraktionen. Zumal: Ob eine Maßnahme ausgesprochen werden muss, liegt im Ermessen des Sitzungsvorsitzenden. Doch auch die Bundestagsabgeordneten haben den Rüffel gegen Alice Weidel gewissermaßen goutiert, als sie ihren Einspruch gegen den Ordnungsruf mit einer breiten Mehrheit abbügelten.

In der Tat ist die AfD im aktuellen Bundestag der Spitzenreiter, was eingefangene Ordnungsmaßnahmen angeht: Von drei Ordnungsmaßnahmen fallen zwei auf die AfD. Viel ist das im Vergleich zu früheren Wahlperioden aber (noch) nicht.  

Krawall im 10. Bundestag

In einer Statistik des Bundestags (Stand: 23. März 2018), die dem stern vorliegt, wird zwischen Ordnungsrufen, Rügen und unparlamentarischen Äußerungen unterschieden. So wurden allein in der 1. Wahlperiode (von 1949 bis 1953) insgesamt 175 dieser Ordnungsmaßnahmen (davon 156 Ordnungsrufe) gezählt. In der 10. Wahlperiode (1983 bis 1987) wurden sogar insgesamt 226 Maßnahmen ergriffen, aber nur 132 Ordnungsaufrufe ausgesprochen. In der 11. Wahlperiode (1987 bis 1990) wurden insgesamt 131 Maßnahmen, davon 75 Ordnungsrufe, gezählt.

Im direkten Vergleich erscheint die zurückliegende 18. Wahlperiode (2013 bis 2017) in dieser Hinsicht beinahe harmonisch. Dort wurden insgesamt nur sieben Maßnahmen, davon zwei Ordnungsrufe, gezählt. Zumindest, was die Ordnungsrufe angeht, hat der aktuelle Bundestag diese Marke bereits geknackt. 

Warum es ausgerechnet in der 10. Wahlperiode (mit insgesamt 226 Ordnugnsmaßnahmen) so krawallig zuging, dürfte nicht zuletzt an dem Einzug der Grünen in den Bundestag gelegen haben. Einer der berühmtesten Fälle in diesem Zeitraum und Zusammenhang: Der Zwischenruf von Joschka Fischer im Oktober 1984, damals Parlamentarischer Geschäftsführer der Partei. „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“, rief er dem damaligen Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen (CSU) zu. Ein Ordnungsruf war allerdings obsolet – Fischer wurde von der Sitzung bereits ausgeschlossen. Einen Tag nach dem Vorfall bat er um Entschuldigung.

Die Ordnungsmaßnahmen im 19. Bundestag

Ein Sitzungsleiter wurde im aktuellen Bundestag noch nicht beleidigt. Scharfe Worte sind im Plenarsaal des 19. Bundestags allerdings schon häufiger gefallen – mal mit, mal ohne Ordnungsmaßnahme.

  • 2. Sitzung, 21. November 2017: Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen hält während ihrer Rede ein Papier hoch, auf dem die Fahne der kurdischen YPG zu sehen ist. Bundestagspräsident Wolfang Schäuble stellt laut Plenarprotokoll fest: „Bevor ich auf die Aussprache schließe, Frau Kollegin Dağdelen, muss ich darauf zurückkommen, dass das Zeigen einer Fahne vom Rednerpult aus zumindest unparlamentarisch ist. Das hätte nicht sein müssen. Ich rüge es als unparlamentarisch.“ Schäuble spricht eine Rüge aus
  • 15. Sitzung, 23. Februar: Zwischenruf von der stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden Beatrix von Storch („Sie haben eine Macke!“) während der Rede von Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki stell laut Plenarprotokoll fest: „Bei aller Erregung, die nachvollziehbar ist angesichts der Angriffe, die Sie von der AfD-Fraktion empfinden, Frau von Storch, ist der Zuruf ‚Sie haben eine Macke!‘ unparlamentarisch. Im Übrigen erteile ich dem Abgeordneten aus der AfD-Fraktion, dessen Name mir leider entfallen ist (Thomas Seitz, Anm. d. Red.)- wir werden ihn identifizieren – einen Ordnungsruf für den Zuruf ‚Richtig!‘ nach dem Zitieren der Aussage, das Mahnmal zum Gedenken der jüdischen Opfer sei ein Mahnmal der Schande. – Dafür erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.“ Kubicki spricht eine unparlamentarische Äußerung und einen Ordnungsruf aus. Doch: Dem Ordnungsruf gegen Thomas Seitz von der AfD wird am 28. Februar nach Einspruch abgeholfen.
  • 25. Sitzung, 18. April: Zwischenruf von AfD-Bundestagsabgeordneten Paul Viktor Podolay („Kriegstreiber!“) bei der Rede von Christian Schmidt (CDU/CSU). Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau stellt laut Plenarprotokoll fest: „Ich stelle fest, dass der AfD-Abgeordnete Seitz den Abgeordneten Schmidt hier als ‚Kriegstreiber‘ betitelt hat. Das ist zumindest ein unparlamentarischer Ausdruck. Eine weitere Bewertung werden wir (…) dann sicherlich an anderer Stelle vornehmen.“ Es wurde keine Ordnungsmaßnahme ausgesprochen.
  • 26. Sitzung, 19. April: Zwischenruf von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland („Ein elender Hetzer!“) bei der Rede von Matthias Zimmer (CDU/CSU). Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich stellt laut Plenarprotokoll später dazu fest: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will nur darauf hinweisen, dass es bisher nicht Gepflogenheit des Hohen Hauses war, so zu formulieren.“ Es wurde keine Ordnungsmaßnahme ausgesprochen.
  • 32. Sitzung, 16. Mai: AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sagt in ihrer Rede: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“ Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble stellt laut Plenarprotokoll fest: „Damit diskriminieren Sie alle Frauen, die ein Kopftuch tragen. Dafür rufe ich Sie zur Ordnung.“ Schäuble spricht einen Ordnungsruf aus. Weidels Einspruch wird später per namentlicher Abstimmung im Bundestag abgelehnt. 

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