Richard Spencer hat Kopfschmerzen. Seit Tagen schon, sagt er, es liege aber nicht am Alkohol, sondern „am ständigen Gewinnen“. Zwar kennt die Schulmedizin keinen Zusammenhang zwischen Erfolgserlebnissen und Kopfweh, doch das stört niemanden von Spencers Anhängern. Sie johlen.

Der siegestrunkene Zustand hält bei Spencer, ein Anführer der amerikanischen „Alt Right“-Bewegung, und seinen Anhängern an, seit ihr Favorit die Präsidentschaftswahl gewonnen hat. An diesem Wochenende feierten Amerikas Ultrarechte im Zentrum Washingtons, drei Blocks vom Weißen Haus entfernt, und berauschten sich an Donald Trump und an sich selbst.

Die alternative Rechte Amerikas, kurz „Alt Right“, vor wenigen Monaten nur Fachleuten ein Begriff, steht seit Trumps Wahlsieg plötzlich im Rampenlicht. Sie war der vielleicht wichtigste Wahlhelfer des künftigen Präsidenten im Netz. Das nur schwer zu fassende Sammelbecken Ultrarechter folgt keiner einheitlichen Ideologie und hat Populisten und Nationalisten, Antisemiten und Rassisten in seinen Reihen.

Fashy Burschen

Lange führten viele Mitglieder eine Existenz in dunklen Ecken des Internets, versteckt hinter Avataren und Pseudonymen. Auf der Konferenz von Spencers Thinktank National Policy Institute im Herzen der Hauptstadt zeigten sich nun manche Protagonisten, Eigenschaften und Ziele der Bewegung etwas deutlicher.

Taktgeber ist der 38-jährige Spencer, ein guter Redner mit strengem Scheitel, der seine Agenda mit der „Verteidigung des europäischen Erbes der Vereinigten Staaten“ umschreibt. Am Samstag stand er im Dreiteiler auf der Bühne des Baalsaals im Kellergeschoss des Ronald Reagan Building und genoss die neue Aufmerksamkeit. „Die Medien sind besessen von uns“, rief er in den Saal. Die „Alt Right“ werde nicht mehr verschwinden und die Welt verändern.

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Spencer bei seiner Rede in Washington

250 Leute hörten ihm zu, es waren vor allem junge Männer in schicken Anzügen und mit akkuraten Frisuren, an den Seiten kurz geschoren. Es ist der „fashy“ hairstyle, der einem hier so prominent gegenübertrat, dass man ihn nicht ignorieren konnten.

Fashy – ein Wort, das je nach Belieben zu „fashion“ oder „fascist“ ergänzt werden darf. Die „Alt Right“ liebe solche Doppeldeutigkeiten. Neben den vielen fashy Burschen ließen sich rund zehn Frauen ausmachen, drei rote „Make America great again“- Kappen und eine Kippa.

Wir sind der Kopf, Trump ist der Körper

Spencer wählte eine Metapher, um die neuen Zeiten zu beschreiben: Die „Alt Right“ sei lange ein Kopf ohne Körper gewesen – ein elitärer Zirkel, wenn man so will, ohne große Anhängerschaft. Das Trump-Phänomen hingegen sei ein Körper ohne Kopf gewesen, also eine diffuse Massenbewegung ohne klare Stoßrichtung. Nun komme beides zusammen, eine Trump-right sozusagen.

Trumps Wahlkampf sei der erste Schritt zu identitärer Politik in den USA, sagte Spencer, und die „Alt Right“ müsse die intellektuelle Vorhut des neuen Populismus sein, die Themen setzt und weiterspinnt. Es sei ein bisschen schade, dass der Kandidat nur über illegale Immigration gesprochen habe und nicht über Einwanderung als solche.

Amerika, sagt Spencer, sei natürlich ein Einwanderungsland, habe sich aber auch immer Pausen von Immigration gegönnt. Das brauche das Land auch jetzt. Er erträumt sich deshalb von der Regierung einen Einwanderungsstopp, der gleich 50 Jahre dauern soll. Es dürften nur so viele kommen wie das Land verlassen, und diese wenigen dürften nur aus Europa stammen.

Unrealistisch sei das im neu aufziehenden Populismus nicht, sagte Spencer. Man werde jetzt alle zwei Monate einen Vorschlag vorlegen. Direkten Zugang zur kommenden Regierung gebe es allerdings nicht. Auch dem Chefberater Trumps, Steve Bannon, dessen Website „Breitbart News“ zur zentralen Plattform für rechte Publizistik wurde, will er nur einmal die Hand geschüttelt haben.

Bannon und Trump in Miami

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Bannon und Trump in Miami

„Es gibt nur ein weißes Amerika“

Neben Spencer und seinen Anhängern im Saal dominierten auf dem Podium aber doch die alten Herren. Da ist der Publizist Peter Brimelow, der von einem weißen Erdrutschsieg bei der Wahl 2020 träumt und der in der Episode, die Trump-Vize Mike Pence im Musical „Hamilton“ wiederfuhr, alles sah, was falsch läuft im Land. „Es gibt kein vielfältiges Amerika“, sagte der 69-Jährige in Anspielung auf die Ansprache des Ensembles an Pence, „es gibt nur ein weißes Amerika“. Alle anderen seien nur vorübergehend mit an Bord.

Das Problem für die „Alt Right“ ist nur, dass die anderen mehr werden. 2050 könnten Amerikas Weiße in der Minderheit sein. Deshalb fügte, rechts von Brimelow, der Psychologe Kevin MacDonald hinzu: „Jede Politik, die unser Schmelzen zu einer Minderheit verlangsamt, ist willkommen.“

Wer fühlt sich davon angesprochen? Spricht man mit den Menschen im Publikum, lässt sich niemand fotografieren und verrät keiner seinen vollen Namen. Nennen wir den 18-Jährigen BWL-Studenten aus Phoenix also Jake. Jake sagte, er leide unter dem „kulturellen Marxismus“, der auf dem Campus regiere – es gehe dort stets nur um Rechte von Minderheiten.

Trumps Sieg sei für ihn eine Erleichterung: „Weiße haben endlich wieder für weiße Interessen gestimmt.“ Darunter fallen für ihn: „keine Sozialhilfe für Einwanderer, die eigene Kultur beschützen, keine Jobs ins Ausland verschieben“.

Umsiedeln, aber friedlich

Jake sagte, in Phoenix gebe es nur noch „ungefähr 63 Prozent Weiße“, doch der Anteil sinke und sinke. Er schob noch hinterher, dass er sich natürlich auch mit einem Schwarzen unterhalten könne und sich dabei „total okay“ fühle.

Wie Jake ist auch der 30-jährige Ken, fashy-Haarschnitt und im blauen Anzug, über das Internet zur „Alt Right“ gekommen. Er habe historische Wahrheiten über die Sklaverei und den Zweiten Weltkrieg gesucht, sagte er, weil er das Gefühl hatte, dass immer nur den Weißen die Schuld an schlimmen Ereignissen zugeschrieben werde.

Ken schwebt eine Trennung der Rassen vor, weil Stadtviertel erst durch Zuzug von Schwarzen und Lations unsicher geworden seien (die Idee, andere Ethnien „auf friedlichem Wege umzusiedeln“ wurde auf der Konferenz mehrfach diskutiert). „Ihr habt ja keine Schwarzen in Deutschland, oder?“, erkundigte er sich.

Man kann also die Haltung, die auf dem „Alt Right“-Treffen aufblitzte, so zusammenfassen: Wir haben nichts gegen Schwarze – sie sollen nur verschwinden.

Hitlergrüße in Washington

Keine große Überraschung, dass diese Positionen auch Protest hervorriefen. Vor dem Tagungsgebäude gab es Demonstrationen und Rangeleien, einer der „Alt Right“-Leute kam mit blutender Stirn zurück in den Tagungssaal gelaufen.

Am Freitagabend sagte eines der schicksten Restaurants im Zentrum Washingtons das Konferenzessen ab, aus Sorge vor gewaltsamen Protesten. Auch das Ausweichlokal wurde dann von teils vermummten Gegendemonstranten, die sich als Antifaschisten bezeichneten, gestürmt und Anführer Spencer mit einer nach Fäkalien stinkenden Flüssigkeit besprüht.

Ebenfalls aus dem Restaurant twitterte eine der wenigen „Alt Right“-Frauen, die ehemalige Reality-TV-Darstellerin und vehemente Trump-Unterstützerin Tila Tequila, noch ein Dreierselfie mit Hitlergruß und dem fast richtig geschriebenen Kommentar „Seig heil!“. Ansonsten: keine besonderen Vorkommnisse in Amerikas Hauptstadt am zweiten Wochenende der Ära Trump.

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