Der Fall um die Lügen des US-Abgeordneten George Santos dreht immer neue Runden. Nun muss sich eine seiner Kolleginnen ebenfalls unangenehme Fragen zu ihrer Wahlkampf-Geschichte stellen lassen – von ihrer Herkunft bis zu vorgeblichen Einbrüchen.

Spätestens seit der Präsidentschaft Donald Trumps ist klar: Im US-Wahlkampf muss man nicht die Wahrheit sagen, um gewinnen zu können. Fast täglich gibt es neue Details zu den Lügen des Abgeordneten George Santos. Jetzt bekommt der Lügen-Baron Konkurrenz aus der eigenen Partei: Die Abgeordnete Anna Paulina Luna soll ebenfalls ihre Lebensgeschichte kräftig aufgemotzt haben.

Das zeigt eine groß angelegte Recherche der „Washington Post“. Die politisch Donald Trump nahe stehende Luna hatte ihren Wahldistrikt in Florida gewonnen, indem sie sich als mexikanisch-stämmige Jüdin inszenierte, die durch ihr Aufwachsen in ärmlichen Verhältnissen und das Trauma eines lebensbedrohlichen Einbruchs zu ihren jetzigen Positionen geworden sei. Doch weite Teile dieser Geschichte scheinen aufgebauscht oder schlicht erfunden zu sein, wie die Zeitung herausgefunden haben will.Paid Interview George Santos CLC 15.40

Plötzlich Latina

Die Inszenierung fängt bereits beim Namen an. Geboren wurde die Abgeordnete nämlich nicht als Anna Paulina Luna, sondern als Anna Paulina Mayerhofer. Der Nachname stammt von ihrem deutschstämmigen Vater. Als sie sich 2018 zum ersten Mal entschied, als Politikerin anzutreten, hatte sie den Namen allerdings bereits abgelegt und als Anna Paulina Gamberzky den Namen ihres Ehemannes in die Unterlagen eingetragen. Erst 2019 entschied sie sich, den Geburtsnamen ihrer Mutter anzunehmen. Obwohl diese den gar nicht mehr führte, berichtete die „Tampa Bay Times“ bereits 2020.

Dahinter dürfte Wahlkampfkalkül gesteckt haben. Im Wahlkampf 2019 begann die heutige Abgeordnete nämlich erstmals, die lateinamerikanischen Wurzeln ihrer Mutter zu betonen. Sogar bei der Aussprache ihres Vornamens betone sie nun die spanische Variante. Das war früher nicht so gewesen, berichten verschiedene ehemalige Mitbewohner und Kollegen der „Washington Post“. Sie hätte immer die amerikanische Aussprache von Anna gewählt, erzählt, sie stamme aus dem nahen Osten, sei jüdisch oder osteuropäisch, berichten verschiedene Freunde aus ihrer Zeit in der Armee. Auch dass sie nun Republikanerin sei, überraschte demnach viele. Während Obamas Regierungszeit habe sie noch häufig den demokratischen Präsidenten und seine Politik gelobt.

Die Familie erinnert sich anders

Auch die Geschichte ihres Aufwachsen in Armut passt nicht so recht zu den Erinnerungen von Freunden und Verwandten. Luna habe oft Designerkleidung getragen, erinnern sich die Army-Kollegen, sie seien davon ausgegangen, dass sie aus einem wohlhabenden Elternhaus komme. Sie selbst berichtet, dass ihre alleinerziehende Mutter sie ohne Unterstützung und Kontakt der erweiterten Familie aufgezogen habe. Und wie sehr sie das geprägt habe.

Dem widersprechen gleich mehrere ihrer Verwandten. „Sie waren immer auf den Familienfeiern“, erinnert sich etwa Cousine Nicole Mayerhofer. „Die ganze Familie hat sie mit großgezogen. Mein Vater war ein wichtiger Teil ihres Lebens als sie jünger war.“ Auch der Großvater habe sich beteiligt, die finanziell unterstützt und von der Schule abgeholt, berichten andere Verwandte. Lunas Mutter bestreitet das allerdings gegenüber der Zeitung. Allerdings teilt sie auch weitere Behauptungen ihrer Tochter, die sich nicht belegen ließen. Mittlerweile hat sie auch den Namen Luna wieder angenommen.

Vorgebliche Juden mit Nazi-Vergangenheit

Die Familie ist für Luna offenbar ohnehin ein schwieriges Thema. Ihr Vater habe sie jüdisch erzogen, erzählte sie dem „Business Insider“ im November. Die Familie widerspricht dem: Ihr Vater sei Katholik gewesen, berichten die Verbliebenen. Dass er jüdische Wurzeln hat, ist angesichts der Familiengeschichte eher unwahrscheinlich. Sein Vater Heinrich Mayerhofer, der 1954 in die USA ausgewandert war, hatte im Zweiten Weltkrieg noch in der Wehrmacht gedient. Ein Geheimnis war das nicht. „Es tat ihm immer weh, darüber zu sprechen“, erinnert sich eine Tante Lunas. Er sei kein überzeugter Nazi gewesen, habe aber nach dem Einzug keine andere Wahl für sich gesehen. Luna hatte sich in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg immer nur auf ihren Urgroßvater mütterlicherseits bezogen – der auf Seiten der Alliierten gekämpft hatte. 

Lunas Vater selbst kann sich nicht mehr dazu äußern, er verstarb letztes Jahr bei einem Autounfall. So kann er sich auch nicht zu Lunas Erzählungen äußern, dass sie ihn als Kind nur im Gefängnis besuchen konnte. Ein Versuch, diese Anekdoten zu belegen, scheiterte. Das Gefängnis von Orange County, in dem er nach Angaben Lunas einsaß, konnte auf Anfrage der „Washington Post“ zumindest keinen Beleg für seine Inhaftierung dort finden.

Ein Einbruch mit Folgen

Eine von Lunas bekanntesten Positionen ist ihr kompromissloser Kampf für die Schusswaffen-Freiheit. Sie machte etwa Schlagzeilen, weil sie forderte, auch in Ausschüssen des Kongresses Waffen tragen zu können. Als einen der Gründe für die Position nennt sie ein Trauma durch einen Einbruch. Sie sei zu Hause gewesen, als ihr Vermieter nachts in der Wohnung eingebrochen sei. Nur durch die Hilfe eines Freundes sei nichts Schlimmeres passiert. „Ich habe erlebt, was passiert, wenn Waffenbesitz beschränkt ist“, nutzte sie den Vorfall, um ihre Position zu Schusswaffen zu begründen.

Auch diese Geschichte lässt sich allerdings nicht bestätigen. Einem Polizeibericht zufolge sei es nicht nachts, sondern tagsüber dazu gekommen. Und sowohl Luna als auch ihre Mitbewohnerin seien gar nicht zuhause gewesen. So erinnert sich auch die Mitbewohnerin gegenüber der „Post“. Und fügt ein weiteres Detail hinzu: Sowohl sie selbst als auch Luna hätten sehr wohl Schusswaffen zuhause gehabt. 

Dass Luna es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, kennt die Mitbewohnerin aber auch aus der gemeinsamen Zeit. „Sie konnte ihre Persönlichkeit wirklich so anpassen, wie es in der Situation am besten passte“, erinnert sie sich. Selbst Luna scheint das so wahrzunehmen. „Ich kann verschiedene Persönlichkeiten annehmen, je nachdem welche Image ich gerade bevorzuge“, erzählte sie freimütig in einem Interview mit dem kanadischen Mode-Magazin „Skyn“. Die damals als Model arbeitende Luna war nach Tipps für Einsteigerinnen gefragt worden. Und nahm diese wohl auch für ihre Politik-Karriere selbst zu Herzen. „Den Charakter von dem anzunehmen, was man verkaufen möchte – das ist einfach extrem wichtig.“

Quellen:Washington Post, Tampa Bay Times, Wahlkampf-Seite, Salon

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