Dort, wo sich die beiden Koreas einst bitter bekämpften, flattern heute bunte Stoffbänder im Wind. An einem mit Stacheldraht gesicherten Zaun haben Besucher Wünsche und Gebete für den Frieden aufgehängt. Wie an so vielen Stellen nahe der demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea ist es der Versuch, dem Grauen die Hoffnung entgegenzusetzen.

Die demilitarisierte Zone trennt beide Staaten seit dem Koreakrieg, der 1953 mit einem Waffenstillstand aber eben ohne Friedensvertrag endete. Der frühere US-Präsident Bill Clinton nannte das Gebiet einst den „angsteinflößendsten Ort der Welt“. Jahrzehntelang standen sich die beiden Koreas an hochgesicherten Grenzen verfeindet gegenüber.

Doch seit vergangenem Jahr hat sich Bemerkenswertes getan: Erste Landminen wurden geräumt, Grenzposten abgerissen. Ein Verbindungsbüro sorgt dafür, dass Nord- und Südkorea einen ständigen diplomatischen Kanal besitzen.

AP

Briefmarke zum Anlass des Gipfels in Hanoi

Angetrieben von dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In nähern sich die beiden Staaten wieder an. „Frieden zu schaffen ist unser Auftrag. Welche andere Wahl haben wir?“, sagt sein außenpolitischer Sonderberater Moon Chung In, der schon unter den beiden anderen progressiven Staatsoberhäuptern des Landes, Kim Dae Jung und Roh Moo Hyun, arbeitete. „Wir haben die Krisen und Katastrophen hier gründlich satt. Die Zeit ist gekommen, dies endlich zu stoppen.“

Seit 1953 habe man eine solche Gelegenheit nicht mehr gehabt, sagte Präsident Moon im Januar, „und wir sollten sie nicht verpassen, weil sie nicht wiederkommen wird“. Moon, seit 2017 Präsident, bleibt nur eine einzige fünfjährige Amtszeit – auch dies erklärt das Tempo, mit der er die Annäherung vorantreibt. Es geht um sein Vermächtnis.

Angespannt dürfte die südkoreanische Regierung daher nun nach Hanoi blicken. In der vietnamesischen Hauptstadt treffen sich der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump zum zweiten Mal. Zentrales Thema wird die atomare Abrüstung Nordkoreas sein.

Symbolik reicht nicht mehr – es müssen Taten folgen

Anders als bei ihrem ersten Treffen in Singapur im vergangenen Juni wird eine eher vage Erklärung dieses Mal nicht reichen. „Wir brauchen jetzt konkrete Schritte. Sonst ist der Gipfel nicht mehr als eine Realityshow“, meint Kim Hyun Wook, Professor an der Korea National Diplomatic Academy.

Präsident Moon hat seit seinem Amtsantritt zwischen den beiden unberechenbaren Politikern vermittelt und dabei viel investiert. Zuletzt traf er Kim im September in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang, auch mit dem Ziel, die verfahrenen Gespräche zwischen Nordkorea und den USA wiederzubeleben.

Besonders jetzt, da Moon in seiner Heimat für seine Wirtschaftspolitik kritisiert wird und junge Menschen wegen der steigenden Arbeitslosigkeit enttäuscht von ihm sind, ist ein außenpolitischer Erfolg wichtig.

Innenpolitisch steht Moon unter Druck

„Wenn in Hanoi keine konkreten Ergebnisse erzielt werden, könnten die Stimmen der Kritiker lauter werden, die sagen, Moon habe Kim Jong Un zu sehr vertraut. Sie werden sagen, Kim sei wie sein Vater und Großvater nur an der Entwicklung von Atomwaffen interessiert – und Moon einem Trugbild aufgesessen“, so Professor Kim Hyun Wook.

Präsident Moons außenpolitischer Berater Moon Chung In allerdings gibt sich optimistisch. Anders als in vergangenen Jahren der Annäherung gebe es nun Kommunikationskanäle und „ein gewisses Maß“ an Vertrauen zwischen den politischen Führern. Außerdem könne jeder seine individuellen Interessen wahren: „Kim Jong möchte wirtschaftlichen Aufschwung. Moon Jae In möchte unbedingt Frieden. Donald Trump möchte politischen Erfolg vor der nächsten US-Wahl.“

Doch nur wenn auf eine Einigung in Hanoi auch wirklich Taten folgen, wird der Gipfel als Erfolg gewertet werden. Diese Verhandlungspunkte zeichnen sich ab:

  • Nordkorea könnte eine vollständige Liste seiner Atomwaffen vorlegen
  • einem Moratorium zur Herstellung von spaltbarem Material zustimmen
  • Inspektoren könnten Zugang zu den Testanlagen erhalten

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Die USA dagegen könnten sich dafür einsetzen, den Koreakrieg symbolisch für beendet zu erklären, auch ein Verbindungsbüro der Amerikaner in Pjöngjang ist im Gespräch. Am wichtigsten aber wäre für Kim Jong Un das schrittweise Ende der Sanktionen. Daran ist auch Südkorea interessiert, das wirtschaftlich enger mit Nordkorea kooperieren will.

Können getrennte Familien ihre Lieben bald wieder besuchen?

Zum einen möchte man Straßen- und Eisenbahnverbindungen wiedereröffnen, aber auch eine Wiederbelebung der gemeinsamen Sonderwirtschaftszone in Kaesong wäre in Seouls Interesse. Diese war 2016 geschlossen worden. Barrieren verhindern nun die Durchfahrt durch einen Checkpoint, wo sonst südkoreanische Manager in den Norden fuhren. Die Wirtschaftszone war einer der wenigen Orte, wo sich Nord- und Südkoreaner täglich begegneten. Weitere Kontaktaufnahmen sind ihnen verboten.

Der Koreakrieg hat ein ganzes Land und viele Familien geteilt. Jedes Jahr sterben Tausende ältere Südkoreaner, ohne dass sie sich den Traum erfüllen konnten, ihre Angehörigen wiederzusehen. Immerhin konnten sich im vergangenen August erstmals seit drei Jahren wieder Angehörige bei einer Familienzusammenführung begegnen. Doch ein 77 Jahre alter Mann, der dabei war, beklagt, dass er noch immer keine Briefe in den Norden schreiben dürfe.

Auch das bedeutet daher die Annäherung auf der koreanischen Halbinsel: ein Versuch, menschliches Leid zu lindern.

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