Nach dem schweren Taliban-Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Nordafghanistan ist es am frühen Morgen zu einem weiteren Zwischenfall gekommen. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE schossen deutsche Soldaten, die das Gelände des Konsulats nach der Sprengstoffattacke sicherten, gegen sechs Uhr morgens (Ortszeit) auf drei Motorradfahrer, die trotz Warnsignalen auf die Bundeswehrsoldaten zufuhren. Zwei von ihnen töteten sie, einer wurde schwer verletzt. Ein Sprecher des Provinzgouverneurs bestätigte später den Vorfall.
Da die Motorradfahrer sowohl auf Leuchtraketen als auch auf Warnschüsse nicht reagiert hätten, mussten die Deutschen mit einem neuen Angriffsversuch rechnen, hieß es in Bundeswehrkreisen. Bei der Explosion eines mit Sprengstoff präparierten Kohlelasters waren zuvor mehrere Menschen getötet und mehr als 120 verletzt worden. Deutsche sind nicht unter den Opfern.
Am Morgen nach der Attacke wurde erstmals das ganze Ausmaß des nächtlichen Angriffs der Taliban klar. Bilder vom Tatort zeigen einen gut drei Meter tiefen Krater, den die Detonation in die Straße vor dem Konsulat gerissen hatte.
Vertretung schwer beschädigt
Die meterhohe Schutzmauer der deutschen Vertretung wurde bei dem Anschlag fast komplett zerstört, das Konsulatsgebäude selber ist schwer beschädigt. Bundeswehroffiziere sprachen am Morgen von einer sehr großen Sprengladung, die erheblichen Schaden am Gebäude angerichtet hat. In Sicherheitskreisen hieß es, das Konsulat selber sei so schwer beschädigt, dass die Vertretung nicht arbeitsfähig sei.
Bilder von afghanischen Fotografen zeigen die Frontseite der deutschen Vertretung mit zerborstenen Scheiben und herunterhängenden Bauteilen. Auf der völlig zerstörten Außenmauer ist noch gut die deutsche Fahne zu erkennen. Das Konsulat in Masar-i-Scharif, eigentlich die wohl sicherste Stadt in ganz Afghanistan, liegt mitten im Zentrum der Millionenmetropole, nur einige Fußminuten von der weltbekannten Blauen Moschee entfernt.
Am Freitagmorgen schilderte die Bundeswehr Bundestagsabgeordneten das bisherige Lagebild. Demnach war zunächst gegen 23 Uhr Ortszeit ein Kleinlaster gegen die meterhohe Schutzmauer des Konsulats gerast, gleichzeitig wurde der auf der Ladefläche versteckte Sprengladung gezündet. Die Explosion war so heftig, dass im Umkreis von fast zwei Kilometer Glasscheiben zerbarsten.
Mitarbeiter versteckten sich im Keller
Nach der Explosion versuchte eine kleine Gruppe von weiteren Angreifern, durch das Sprengloch in der Außenmauer auf das Gelände der Vertretung einzudringen. Offenbar gelang dies zwei Angreifern, die aber vom Sicherheitspersonal gestoppt wurden. Das Personal des Konsulats wurde umgehend in einen schwer geschützten Sicherheitsraum gebracht, eine Handvoll Mitarbeiter versteckte sich zudem im Keller der Gebäudes.
Insgesamt befanden sich zur Zeit des Anschlags etwa 20 deutsche Mitarbeiter im Konsulat, sie haben dort auch ihre Quartiere. Die Vertretung war im vergangenen Jahr noch einmal deutlich stärker gegen mögliche Angriffe gesichert worden, unter anderem wurde eine sogenannte Blast Wall installiert, die die Wucht von Sprengstoffanschlägen abfangen soll.
Die Bundeswehr, die im nahegelegen Camp Marmal stationiert ist, alarmierte umgehend nach der Explosion die sogenannte Qick Reaction Force, die derzeit von georgischen Soldaten gestellt, aber von der Bundeswehr trainiert und eng begleitet wird.
Nato-Soldaten sicherten das Konsulat
Gut anderthalb Stunden nach der Explosion waren die Nato-Soldaten vor Ort, sicherten das Konsulat und suchten nach möglichen weiteren Attentätern, die man auf dem Gelände vermutete. Auch der deutsche Kommandeur machte sich vor Ort ein Bild der Lage.
Alle Mitarbeiter der diplomatischen Vertretung wurden nach der Attacke ins nahegelegene deutsche Camp in Masar-i-Scharif gebracht. Nach Bundeswehr-Angaben ist das Konsulat so schwer beschädigt, dass der weitere Betrieb zunächst nicht möglich ist.
Die Zahlen über Verletzte und Tote durch den Anschlag schwankten am Morgen stark. In einer Unterrichtung für Bundestagsabgeordnete sprachen hochrangige Offiziere von zwei afghanischen Zivilisten, drei lokalen Soldaten und zwei Polizisten, die offenbar durch die Explosion getötet worden waren. Zudem wurden Dutzende Menschen schwer verletzt, noch weit vom Explosionsort kamen Menschen durch zerberstende Scheiben und Glassplitter zu Schaden.
Größter Anschlag in der Stadt
Afghanische Offizielle in Masar sprachen vom bisher größten Anschlag in der Stadt. Die Taliban hatten sich schon kurz nach der Explosion zu der Tat bekannt. Masar-i-Scharif gilt als einer der sichersten Städte in Afghanistan, im Gegensatz zu Kabul oder anderen Zentren sind Anschläge eher selten, selbst Diplomaten können sich tagsüber einigermaßen frei in der Stadt bewegen.
Die Taliban behaupteten umgehend nach der Tat, der Angriff sei ein Racheakt für einen US-Bombenangriff im nordafghanischen Kundus, bei dem viele Zivilisten getötet worden waren. In Propaganda-Mitteilungen sprachen sie von einer Mitschuld der Deutschen an dem Luftangriff obwohl sich die Bundeswehr in Nordafghanistan seit langem nur auf das Training der afghanischen Armee konzentriert.
In professionell erstellten Twitter-Einträgen zeigten sie das Generalkonsulat, das mit einem Fadenkreuz markiert war. In deutschen Sicherheitskreisen war wegen dem schnellen Bekenntnis der Taliban von einer gut geplanten Attacke die Rede.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich nach dem Attentat bestürzt. „Was wir dort erlebt haben, war ein brutaler Anschlag“, sagte er in Berlin. „Wir trauern um diese Toten und fühlen mit den Angehörigen.“ Gleichzeitig sei er glücklich und dankbar, dass die deutschen Mitarbeiter körperlich unversehrt geblieben seien.
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