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In diesen Stunden erobern syrische Armee, iranische Revolutionsgarden, irakische und libanesische Milizen mit Unterstützung von russischen Militärberatern die letzten Viertel von Aleppo. Die Schilderungen aus Ost-Aleppo klingen dramatisch. Unablässig schlagen Artilleriegeschosse ein, die Eingeschlossenen rechnen mit dem Tod.

Hunderte Menschen, die sich der Regierung in den vergangenen Tagen stellten, sind verschwunden. Männer müssen darauf gefasst sein, für die Regierungstruppen zwangsrekrutiert zu werden oder wie Zehntausende andere auf Nimmerwiedersehen im Gefängnis zu landen. Es gibt Berichte von Verhaftungen und Massenerschießungen, ein Uno-Sprecher in Genf spricht von einer „Kernschmelze der Menschlichkeit“. Es wird Monate, vielleicht Jahre dauern, bis das ganze Ausmaß der Verbrechen des Assad-Regimes bei der Eroberung der Stadt sichtbar wird. (Verfolgen Sie hier die Entwicklungen im Newsblog)

Videoanalyse: Der Krieg der Bilder

Syriens Armee ist in desolatem Zustand

Im Westteil der Stadt organisiert das Regime derweil Siegesfeiern. Kinder und Jugendliche posieren für die Kameras der Fotografen mit den Flaggen Syriens und der Hisbollah sowie Portraits von Staatschef Baschar al-Assad. Sie bejubeln den „Sieg über die Terroristen“. Aber zu welchem Preis? „Russland und Syrien verwandeln Aleppo in eine Wüstenlandschaft und nennen das Frieden“, fasste Alex Younger, Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, die Lage zusammen.

Doch ob dieser Triumph Bestand haben wird, ist fraglich. Denn die Ereignisse dieser Tage zeigen zweierlei: Das Regime ist zwar mit Hilfe seiner Verbündeten in der Lage, verlorene Gebiete zurückzuerobern – wie in Aleppo. Es scheitert aber daran, zurückeroberte Orte dauerhaft zu halten – wie in Palmyra.

Die reguläre syrische Armee ist im sechsten Kriegsjahr in einem desolaten Zustand. Ohne russische Luftwaffe und schiitische Milizen aus Iran, dem Libanon, Irak und Afghanistan wäre die Rückeroberung Aleppos undenkbar gewesen. Bei der Sicherung eroberter Gebiete sind Assads Armee und die regierungstreue Miliz „Nationale Verteidigungskräfte“ aber zumeist auf sich allein gestellt.

Demütigung in Palmyra

In Palmyra wurden die Regierungstruppen in den vergangenen Tagen von Kämpfern der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) überrannt. Auch russische Luftangriffe konnten nicht verhindern, dass die Dschihadisten die antike Wüstenstadt nach neun Monaten vom Regime zurückeroberten. Die US-Armee griff gar nicht erst ein. Bei ihrer Flucht vor den IS-Kämpfern ließen die syrischen Soldaten 30 Panzer, Schützenwagen und unzählige Panzerfäuste und Grad-Raketen zurück – eine Demütigung für den Diktator und seine russischen Unterstützer.

Das Beispiel Palmyra zeigt, dass die Rückeroberung einer Stadt für das Regime keinesfalls den endgültigen Sieg bedeutet. Gleiches dürfte auch für Aleppo gelten. Westlich der Stadt stehen die Aufständischen derzeit nur wenige Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Dieses Rebellenbündnis in der Provinz Idlib wird von der islamistischen Terrororganisation Dschabhat Fatah al-Scham (zu Deutsch: „Eroberungsfront Syriens“) dominiert.

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Frontverläufe in Syrien

Am Dienstag verständigten sich Rebellen und Regime angeblich auf eine Feuerpause, während der die letzten Aufständischen und Zivilisten Aleppo verlassen sollen. Die Armee dementierte den Bericht kurz darauf.

Russland soll angeboten haben, den Aufständischen die Flucht Richtung Idlib über einen sogenannten sicheren Korridor zu ermöglichen. Das haben die Rebellen aber offenbar abgelehnt. Sie wollten stattdessen in das Gebiet nordöstlich von Aleppo gebracht werden, das in den vergangenen Wochen von der türkischen Armee und ihren Verbündeten erobert wurde. Sie hoffen, dort unter dem Schutz der Türkei vor syrischen und russischen Angriffen sicher zu sein. Moskau und Damaskus wollen eine Auslieferung der Aufständischen nach Idlib, weil sie dort ungehindert Angriffe auf Rebellen fliegen können.

Syriens Teilung wird immer wahrscheinlicher

Nach der Schlacht um Aleppo ist klarer denn je: Solange Wladimir Putin Assad stützt, wird der Diktator an der Macht bleiben. Moskau verhindert nicht nur das Eingreifen des Uno-Sicherheitsrates, die russische Intervention hat auch die Aufständischen militärisch entscheidend geschwächt. Zugleich legen die Verbrechen in Aleppo und anderswo die Saat für eine neue Generation von Regimegegnern, die mit noch größerem Fanatismus kämpfen werden.

Damit stellt Russland sicher, dass Assad den Syrienkrieg nicht verliert; von einem Sieg ist er aber noch weit entfernt: Sein Regime kontrolliert die Ruinen von Aleppo, Hama und Homs sowie die Hauptstadt Damaskus und die Mittelmeerküste. Den Kampf gegen den IS überlässt der Diktator weitgehend den USA und ihren Verbündeten. Im Norden stehen weite Landesteile unter kurdischer Autonomieregierung. Dazwischen rücken die türkische Armee und ihre Verbündeten immer weiter auf syrisches Gebiet vor.

Die Schlacht um Aleppo ist deshalb auch kein Wendepunkt im Syrienkrieg, sondern nur ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund. Eine weitere zerstörte Stadt. Und noch ein paar Zehntausend Flüchtlinge mehr.


Zusammengefasst: Der Sieg in der Schlacht um Aleppo ist ein militärischer Erfolg für das Assad-Regime, aber kein Wendepunkt im Syrienkrieg. Die russische Intervention hat die Niederlage des Machthabers verhindert, für einen militärischen Sieg sind dessen Truppen aber zu schwach. Das Sterben der Zivilbevölkerung wird den Hass auf den Diktator und seine Verbündeten nur weiter anheizen. Der Krieg wird noch lange weitergehen.

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