„Ich will Deutschland dienen“, sagt Angela Merkel. Aber da ist auch schon wieder weit mehr als eine Stunde vorbei in der Essener Gruga-Halle. Oder es sind, wenn man so will, sogar satte elf Jahre. Im Jahr 2005 hat sie genau diesen Satz vor ihrer Partei, der CDU, gesagt – damals, als sie zum ersten Mal die ganz große Herausforderung suchte, für das Amt der Bundeskanzlerin anzutreten. Damals vor einer eher skeptischen Versammlung. Elf Jahre sind seitdem vergangen! Eine Ewigkeit in der Politik! Die Welt hat sich rasend verändert seitdem – und Angela Merkel?
„Ich will Deutschland dienen“ – es ist dieselbe, die selbst gegebene Antwort Merkels auf die Frage, warum sie nun noch einmal, ein viertes Mal, antreten wird, im Herbst 2017. Es kommt, am Ende dieser Rede ein bisschen pathetisch aber doch irgendwie auch ziemlich lakonisch daher. Als ob kein anderer Begründungszusammenhang geliefert werden müsste: Merkel weil Merkel. Das muss genügen. Und es genügt ja auch. Dabei ist es eine Entscheidung, die alles andere als trivial ist, wie sie selbst sagt – für das Land, für ihre Partei und nicht zuletzt für sie selbst.
Angela Merkel hat sich entschieden, dass sie die einzig Wahre ist, dieses Land im Gleichgewicht zu halten. Und ihre Partei hat sich entschieden, ihr das noch einmal zu glauben. Man kann das eine selbstbewusst nennen und das andere ehrfürchtig. Oder beides alternativlos. „Machen wir uns nichts vor“, sagt Merkel an diesem Dienstag zu ihrer CDU, die sie so pflichtgemäß wie aufopferungsvoll über elf Minuten lang für ihre Rede feiern wird, „machen wir uns nichts vor: die Bundestagswahl 2017 wird so schwierig wie keine Wahl zuvor.“ Die starke Polarisierung im Land, „Anfechtungen von rechts uns links“, das drohende Auseinanderbrechen einer Gesellschaft – „wir haben die Aufgabe, so stark zu sein, dass all das verhindert wird“.
„Europäische und internationale Anfechtungen“
Und es ist ja nicht so, als dass drum herum um dieses Deutschland alles zum Besten bestellt wäre. „Wir haben europäisch und international mit Anfechtungen zu tun“, sagt Merkel, Attacken „auf unsere Art zu leben“. Da ist der Brexit, die Ungarn, die verstockten Osteuropäer, der Front National in Frankreich, der Autokrat Erdogan in der Türkei, das Chaos im Nahen Osten, da ist Putin; und dass Merkel dazu auch noch den Egomanen zählt, der demnächst ins Weiße Haus einzieht und mit seinen irrlichternden Bauchentscheidungen ihr demnächst wahrscheinlich jeden gottverdammten Arbeitstag auf den Wecker gehen wird – das darf als sicher gelten.
Sie will wegen all dieser Unbill auf der Welt deshalb noch einmal „ins Offene gehen“, wie sie sagt. Es ist ihr Opfer, aber auch ihre Überzeugung, dass sie selbst am allerbesten eine aus den Fugen geratene Welt womöglich wenigstens noch ein klein bisschen im Lot wird halten können.
Das Offene, das ist für sie die Freiheit, „ein Gut, das man gar nicht hoch genug einschätzen kann. „Frevel“, sagt Merkel, sei eine Politik, die gegen die Freiheit gerichtet sei.
Angela Merkel wird mit 89,5 Prozent wieder gewählt
Merkel hat damit den Rahmen abgesteckt. Was sich in diesem Rahmen abspielt ist weitgehend bekannt. Ein gesetzter Vortrag genügt an diesem Dienstag, um das alles einmal anzutippen – das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, die Bedeutung der Digitalisierung. Solche Sachen. Wichtiger war, dass sie ihre Partei an diesem Dienstag umschmeichelt hat. „Es geht nur gemeinsam. Hand in Hand“. Und: „Ich habe euch auch einiges zugemutet, weil die Zeiten uns einiges zugemutet haben“. Die Delegierten danken ihr solche Sätze. Merkel wird mit 89,5 Prozent wieder gewählt. Das ist deutlich weniger als das Rekordergebnis von 2012 (fast 98 Prozent), aber immer noch besser als im Vorfeld erwartet. Die Zeiten sind nicht einfach.
Ist sie dieselbe geblieben? Nein, das hat auch Angela Merkel nicht geschafft in all den elf Jahren. Manche Überzeugungen musste sie sogar binnen eines Jahres korrigieren. Ihr Vortrag ist keine zwei Minuten alt an diesem Dienstag, da gibt sie, die vor einem Jahr noch als „Willkommenskanzlerin“ tituliert wurde, den neuen Sound in der Flüchtlingspolitik vor: „Nicht alle der 890000 Menschen, die letztes Jahr gekommen sind, können und werden bleiben“, sagt Merkel. „Eine Situation wie im Sommer 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen. Das war und ist mein erklärtes politisches Ziel“.
Man kann sagen: Angela Merkel will Deutschland weiter dienen – aber auch wieder vermehrt ihrer eigenen Partei.
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