Was macht Angela Merkel eigentlich in diesen Tagen? Guckt sie ab und zu (mehr ist nicht zumutbar) auf ihrem iPad nach, was die Genossen auf ihrem Parteitag in der Berliner CityCube so treiben? Freut sie sich ein Loch in den Blazer, dass die am politischen Helfersyndrom leidenden Sozialdemokraten es instinktsicher geschafft haben, aus dem Nomaika-Problem der Kanzlerin binnen weniger Stunden ein Groko-Problem der SPD zu machen, das, dank der Führungskunst ihrer Parteispitze, inzwischen im Doppelsinn irre Dimensionen angenommen hat? Freut sich die Parteivorsitzende in Merkel gleich noch ein weiteres Loch daneben, weil die einstmals einzige ernst zu nehmende politische Konkurrenz gerade dabei ist, sich kollektiv in die Bedeutungslosigkeit wegzuschulzen? Verdenken könnte man es ihr nicht.
In der CityCube trat gestern Oliver Ruß ans Mikrofon. Der Delegierte aus Leverkusen rechnete vor, woher die SPD kommt und wohin ihr Weg führt. Die SPD kommt von 40,9 Prozent im Jahr 1998. Sie steht bei 20,5 Prozent im Jahr 2017. „Mathematisch gesehen, scheiden wir 2029 aus dem Bundestag aus“, sagte Ruß. Dann würde die SPD unter fünf Prozent landen. Der Mann von der SPD-Basis legt seiner Berechnung allerdings eine falsche Annahme zu Grunde. Er geht von einer weiterhin linearen Entwicklung aus. So, wie sich die SPD präsentiert, sollte Russ lieber unterstellen, dass sich der Niedergang exponentiell beschleunigt.
„Die Große Koalition ist so attraktiv wie Fußpilz“
Ein paar Stunden nach Ruß stand Ralf Stegner am Mikro. Stegner ist stellvertretender Vorsitzender der SPD. Man kann ihn am besten mit einem Boliden vergleichen, einem Boliden ohne Bremse. „Ich finde die Große Koalition so attraktiv wie Fußpilz“, ratterte Stegner los. „Das war Mist mit der Groko und das Ergebnis war nicht gut. Aber ohne die SPD geht nichts in Deutschland. Lasst uns die Ärmel aufkrempen und nicht der Öffentlichkeit ein Bild des Jammers bieten. Wenn wir gar nicht reden, ziehen sie uns bei Neuwahlen das Fell über die Ohren.“
Ein Bild des Jammer(n)s in fünf Sätzen. Besser und knapper lässt sich die desolate Lage der SPD nicht zusammenfassen. Sie verachtet sich für das, was sie macht. Sie hat die Hosen gestrichen voll, markiert aber den strammen Max und redet sich die Lage fröhlich. Könnte ja sein, dass die Menschen, was Attraktionen angeht, andere Vorstellungen haben. Könnte sein, dass die Große Koalition für viele nicht halb so abstoßend ist wie ihr dezimierte kleiner Teil – und dass die SPD höllisch aufpassen muss, nicht als Fußpilz-Partei zu enden.
Wenn schon untergehn, dann aufrecht
Man kann verstehen, dass die Partei in diesem Zustand nicht regieren will, einige aus ihrer Führung samt ihrem wankelmütigen Vorsitzenden ausgenommen. Es wäre auch besser für die Partei, besser wahrscheinlich auch fürs Land. Nur, dann sollten die Sozialdemokraten auch ehrlich sein und lieber ihr Heil in Neuwahlen suchen statt sich missmutig in eine Regierung zu quälen oder sich und allen anderen vorzumachen, sie könnten auch eine Minderheitsregierung Merkel tolerieren. Ein schönes altes Wort warnt: In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Daran sollten sich die Genossen erinnern. Und wenn schon untergehen, dann wenigstens einigermaßen aufrecht.
Statt dessen beruft die SPD einen Sonderparteitag ein, um sich eventuelle Verhandlungen mit der Union absegnen zu lassen. Die gute Nachricht ist: Zumindest befragen sie nicht erst alle Mitglieder, ob sie das dürfen sollen. Das ist keine politische Führung, das ist Kasperltheater. Der Zinnober, den normalerweise die Grünen veranstalten, ist nichts dagegen.
Die SPD weiß was sie nicht will. Das reicht nicht.
Im Übrigen: Rot-Grün wäre 1998 ein Traum geblieben, hätten die Grünen sich gewunden wie die SPD heute – und die damalige Friedenspartei musste in eine Kriegsbeteiligung einwilligen. Aber sie hatte an ihrer Spitze zwei starke Figuren: Joschka Fischer und Jürgen Trittin. Die SPD hat Martin Schulz und die anderen.
Das alles ist ein großer Jammer. Denn es stimmt ja, was viele Redner in der CityCube vor sich her beten: Eine sozialdemokratische Partei wird gebraucht, gerade in Umbruchzeiten wie diesen. Das müsste allerdings eine Partei sein, die nicht nur weiß, was sie nicht will. Die Selbstbewusstsein nicht nur behauptet. Die zu sich selbst steht und nicht nur zu ihrer Vergangenheit. Die eine Idee von sich selbst hat und die es nicht gleich zerreißt, weil sie vor einer schwierigen Entscheidung steht. Keine Fußpilz-Partei.
Kurz nach der Wahl hat das SPD-Mitglied Felix Dachsel in der „Zeit“ vorgeschlagen, die SPD aufzulösen und neu zu gründen. Die Idee klang verrückt. Mit jedem Tag, der seither vergangen ist, scheint sie immer plausibler. Vielleicht ist es wirklich der einzige Weg, diese Partei noch zu retten.
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