In den besetzten Gebieten in der Ukraine haben vier Scheinreferenden begonnen. Danach gehören Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja zu Russland und aus Sicht Moskaus wird die Ukraine plötzlich zum Aggressor. Wie heißt das für den Krieg?
Im von Russland besetzten Osten und Süden der Ukraine starten die umstrittenen „Volksabstimmungen“. Befragt wird die dortige Bevölkerung, ob sie zur Russischen Föderation gehören will. Die Antwort steht bereits fest, alles andere außer einem klaren Ja dürften die Führung in den vier (Separatisten-)Regionen und vor allem in Moskau nicht akzeptieren. International aber werden die Referenden nicht akzeptiert werden, wie die Ukraine, der Großteil der europäischen Staaten sowie die USA und die Türkei bereits haben verlauten lassen.
Volksabstimmung im Kriegsrecht
Dass es sich um Scheinreferenden mit mutmaßlich manipuliertem Ausgang handelt machen schon die Umstände deutlich: Die Befragung findet ohne Zustimmung der Ukraine statt über deren Territorien abgestimmt wird, unabhängige Beobachter sind nicht zugelassen, es gilt dort das Kriegsrecht, und Russland sowie die Separatisten kontrollieren nicht mal das vollständige Gebiet, in denen die Referenden abgehalten werden. Doch um die Ergebnisse geht es ohnehin nur pro forma. Für die russische Regierung steht im Mittelpunkt sich die Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja einzuverleiben.
Die betroffene Fläche von mehr als 100.000 Quadratkilometern entspricht der Größe von Bayern und Baden-Württemberg zusammen, für Kremlchef Wladimir Putin gehört sie zum „historischen Russland“. Aus seiner Sicht hat die Ukraine ohnehin keinen Anspruch auf die Gebiete. Seit der Besetzung von Teilen des Donbass im Jahr 2014 und dem Einmarsch in den Osten und Süden der Ukraine schafft Moskau entsprechend Fakten. So erhalten in den betroffenen Gebieten Neugeborene automatisch die russische Staatsbürgerschaft, wie auch sonst russische Pässe großzügig ausgegeben werden und der russische Rubel die ukrainische Griwna als Zahlungsmittel abgelöst hat.
Zynische Variante der Täter-Opfer-Umkehr
Auf diese Weise war die Regierung in Moskau auch schon bei der rechtswidrigen Annexion der Krim 2014 vorgegangen. Auch dort ist eine internationale Anerkennung ausgeblieben. Bei der Pseudolegitimation von Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja als „russisch“ dürfte es Putin vor allem darum gehen, jegliche kriegerische Handlung dort als Angriffe auf eigenes Staatsgebiet zu werten. Das ist auch deswegen perfide, weil die Ukraine natürlich darum kämpft, von Russland besetzte Landstriche zurückzuerobern. Anders gesagt: Aus dem angegriffenen Staat Ukraine, der versucht, sich gegen die Invasoren zu verteidigen, würde plötzlich ein Aggressor werden. Eine besonders zynische Variante der Täter-Opfer-Umkehr.
Refeferenden Ablauf 13.11
Noch vor Beginn der Referenden unterstrich Putin die Ernsthaftigkeit seiner Annexionspläne mit der Drohung: „Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen.“ Damit meint er auch ausdrücklich den Einsatz von Atomwaffen. Doch wie ernst meint der Kremlchef das?
Zu Beginn des Ukraine-Kriegs rechtfertigte der Präsident Russlands den Einmarsch in das Nachbarland noch damit, die Ukraine von der angeblichen „Nazi-Herrschaft“ „befreien“ zu wollen. Jeder, der Moskau daran hindern würde, müsste mit fürchterlichen Konsequenzen rechnen. Auch damals hatte Putin, zumindest indirekt, mit Atomwaffen gedroht. Weil die Ukraine mittlerweile von EU-Staaten und der USA unterstützt wird, heißt es in Moskau, Russland kämpfe nicht gegen die Ukraine, sondern gegen die Nato oder den „kollektiven Westen“. Das ist auch ein Grund, warum Regierungschefs wie Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden zögern, der Ukraine Kampfpanzer zu liefern. Dadurch könnte der Westen zu einer „echten“ Kriegspartei werden.
Bleibt Russland bei seinem Vorgehen?
Kiew nimmt die Ankündigung aus Moskau gelassen zur Kenntnis. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte gesagt, die Ukraine lasse sich nicht einschüchtern. In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Ziele auf der russisch besetzten Krim angegriffen – mutmaßlich von ukrainischer Seite. Nach dem Gebietsverständnis Moskaus hätte dies bereits direkte Reaktionen auslösen müssen, was aber nicht geschehen ist. Eine Entwarnung ist das natürlich nicht, denn die Führung Russlands scheint jederzeit bereit, ihr Vorgehen zu ändern.
Quellen: DPA, AFP, „FAZ“, Tagesschau, Deutschlandfunk
Lesen Sie mehr auf Quelle