Sechs Wochen. Manch einer dürfte sich die Augen reiben, so rasant pflügte Boris Johnson in dieser kurzen Zeit das Politikgeschehen in Großbritannien um.
Am 24. Juli hatte die Queen Johnson im Buckingham Palace den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Seitdem versucht der britische Premierminister, den Brexit bis zum 31. Oktober „ohne Wenn und Aber“ durchzudrücken. Ob mit oder ohne Austrittsabkommen. Und offenbar ohne Rücksicht auf Verluste.
Boris Johnson musste viele Niederlagen einstecken
Die Bilanz seiner bisherigen sechs Wochen: eine Reihe von Niederlagen, Rückschlägen und Verlusten.
- Johnson hat bisher jede Kraftprobe im Parlament verloren. Schon vier Abstimmungsniederlagen gehen auf sein Konto. Zum Vergleich: Die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher (1979 bis 1990) hat ebenfalls vier Abstimmungsniederlagen erlitten, allerdings in elf Jahren ihrer Amtszeit. Nur Vorgängerin Theresa May scheint mit 33 Abstimmungsniederlagen in drei Jahren uneinholbar, wie eine Grafik der „Süddeutschen Zeitung“ veranschaulicht. Am heutigen Montag steht Johnson die fünfte Niederlage im Parlament hervor: Der Regierungschef will erneut über eine Neuwahl am 15. Oktober abstimmen lassen. Die Erfolgschancen sind gering.
- Johnson hat an Rückhalt und seine Regierungsmehrheit verloren. Und das mit einem Knall: Er warf vergangene Woche 21 Tory-Rebellen aus der Partei, die im Streit um den Brexit-Kurs gegen die Regierung gestimmt hatten. Darunter namhafte Konservative wie der Alterspräsident und ehemalige Schatzkanzler Ken Clarke und der Enkel des Kriegspremiers Winston Churchill, Nicholas Soames. Während der Abstimmung, die jene Personalrochade zur Folge hatte, wechselte ein Tory-Mitglied die Seiten. Arbeitsministerin Amber Rudd legte aus Protest gegen Johnson Brexit-Kurs ihr Amt und ihre Fraktionsmitgliedschaft nieder. Sogar Johnsons eigener Bruder, Jo Johnson, trat als Minister und konservativer Abgeordneter zurück, „zerrissen zwischen Loyalität zur Familie und dem nationalen Interesse“.
- Johnson hat die Kontrolle verloren. So jedenfalls der Zungenschlag britischer Schlagzeilen, nachdem das Parlament in Rekordtempo ein Gesetz durch das Parlament brachte, das Johnson die Daumenschrauben anlegen sollte. Das Unterhaus verabschiedete am Freitag ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit. Es sieht vor, dass der Regierungschef bei der EU eine Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden Brexit-Frist beantragen muss, sollte bis zum 19. Oktober kein Austrittsabkommen ratifiziert sein. An diesem Montag trat das Gesetz in Kraft. Johnson lehnt eine Verlängerung jedoch kategorisch ab. Lieber wolle er „tot im Graben“ liegen. Über das Gesetz will er sich trotzdem nicht hinwegsetzen. Spekuliert wird, dass die Regierung versuchen wird, anderweitig ein Schlupfloch zu finden.
- Johnson hat den Anstand verloren. Das findet etwa Diane Abbott, innenpolitische Sprecherin der oppositionellen Labour-Partei. Bei einer Rede am vergangenen Donnerstag an einer Akademie im nordenglischen Wakefield sprach Johnson ungerührt weiter, nachdem hinter ihm eine Kadettin zu Boden gegangen war. „Er hat gesehen, was da passiert ist, und hat es ignoriert. Das besagt alles, was man über diesen Mann wissen muss“, sagte Abbott. Überhaupt schrieb der Premier in den letzten Tagen einige unliebsame Schlagzeilen: So wurde Johnson von einem Briten sehr höflich gebeten, doch bitte seine Stadt zu verlassen. Ein anderer las dem Premier auf offener Straße die Leviten.
Ein Verlierer auf ganzer Linie ist Johnson aber nicht. Johnson schickt das Parlament schon an diesem Montagabend in die von ihm angestoßene und umstrittene Zwangspause.
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Mit seinem Vorhaben siegte er gewissermaßen vor Gericht – Bemühungen, die Zwangspause zu verhindern, scheiterten. Und auch in Umfragen punktet Johnson: Wahlforscher sehen die Torys bei etwa 35 Prozent und damit noch immer zehn Punkte vor Labour.
Quellen: „Süddeutsche Zeitung“, „Tagesschau“, Mit Material der Nachrichtenagentur DPA
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