Mit einer Leitentscheidung zum NRW-Braunkohleabbau steht fest: Fünf weitere Dörfer müssen den Baggern weichen, aber der Hambacher Forst bleibt. Ministerpräsident Armin Laschet schreibt sich die Rettung auf die Fahne. Was für eine Heuchelei! 

Wie gut, dass es Twitter gibt. Denn dort kann man schlechte Nachrichten, die man zu guten umfrisiert hat, ungestört in die Welt zwitschern. Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hat jüngst davon Gebrauch gemacht. Seiner Community verkaufte er die neue Leitentscheidung zum Braunkohleabbau in NRW wie folgt als eigene Erfolgsstory: „Der #HambacherForst wird gerettet, 1,2 Milliarden Tonnen Braunkohle bleiben im Boden, größte CO2-Reduzierung und Strukturwandel beginnen.“PAID Hochdrei Kommunalwahl NRW – 12.20 Uhr

Für Mensch und Natur ist diese Interpretation ein Hohn. Zum einen wurde der Hambacher Forst, der sich in den Siebziger Jahren auf rund 4100 Hektar erstreckte, schon zu 95 Prozent von den Kohlebaggern weggeknabbert. Der Rest des einst mächtigen Walds taugt höchstens noch als Denkmal. Zum anderen lobt Laschet „Hambi“ plötzlich als wertvoll und erhaltenswert, wo doch die Landesregierung über Jahre Hundertschaften Polizisten in den Forst geschickt hat, um Widerständler zu vertreiben und dem Energiekonzern RWE die Rodung zu ermöglichen. Welch eine Trittbrettfahrerei!

700 Milliarden Tonnen Kohle werden noch verbrannt

Wie billige Propaganda wirkt auch Laschets Eigenlob, 1,2 Milliarden Tonnen Braunkohle blieben nun in der Erde. Das klingt zwar erst einmal gut – und ist es auch. Es verdeckt aber, dass in NRW weitere rund 700 Millionen Tonnen Braunkohle gehoben und verbrannt werden dürfen. Denn die Leitentscheidung, die auf dem faulen „Kohlekompromiss“ von 2019 beruht, terminiert den deutschen Kohleausstieg auf 2038 (vorher: 2045). Das heißt: Kraftwerke, befeuert mit dem fossilen Klimakiller, dürfen noch 18 weitere Jahre Co2 in die Luft blasen. Eine frohe Botschaft angesichts der immer heftigeren Folgen der Erderwärmung ist das nicht. Sogar notorische Skeptiker sehen langsam ein, dass Deutschland nur mit einem viel schnelleren Kohleausstieg die Pariser Klimaziele erreichen kann.

Schließlich lobt Laschet den Strukturwandel, der jetzt beginnt. Damit der gelingt, sollen sagenhafte 14,8 Milliarden Euro Steuergeld nach NRW fließen. Das macht rund 1,8 Millionen Euro auf jeden der etwa 8000 verbliebenen Kohlekumpel im rheinischen Revier – davon können Gefeuerte in anderen Industrien nicht einmal träumen. Der Strukturwandel hätte schon vor vielen Jahren beginnen können, billiger und effektiver, das Ende des fossilen Zeitalters war lange absehbar. Der Nachwuchs im Tagebau hätte neue Perspektiven bekommen. Aber die Landesregierung unternahm – nichts. RWE konnte sich stets auf die Kohletreue der Düsseldorfer verlassen, nicht nur unter Laschets schwarz-gelber Koalition, sondern auch unter Rot-Grün.

Rund 100 Besetzer leben noch im Wald

Laschets Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat die Aktivisten im Hambacher Forst aufgefordert, den Wald nun, da die Leitentscheidung Gesetz geworden ist, freiwillig zu räumen: „Die Vernetzung der Wälder und ihre gedeihliche Entwicklung könnten dadurch gefördert werden.“ Pinkwart ist nicht naiv. Natürlich glaubt er nicht daran, dass die Widerständler ihre Schlafsäcke und Bunsenbrenner einpacken und sich mit einem „dumm gelaufen“ vom Acker machen. Bis zu rund 100 Besetzer leben noch im Wald in etwa ebenso vielen Baumhäusern. Und sie werden bleiben, solange sich noch irgendwo ein Bagger röhrt.Hambacher Forst Verleiher zieht Hebebühnen ab_10.30

Viele unterstützen inzwischen die Aktivisten am Tagebau Garzweiler, haben dort ihr Zweit-Camp aufgeschlagen. Hier werden weitere fünf Dörfer für die Braunkohle plattgemacht, auch das schreibt die Leitentscheidung fest. Obwohl sie bereits fast ausgestorben und teils verfallen sind und daher kaum mehr zu retten, wirkt die Radikalität des Energieriesen völlig aus der Zeit gefallen. Die Widerstandsgruppen, von „Alle Dörfer bleiben“ über den BUND bis „Ende Gelände“, planen bereits die nächsten großen Protestaktionen.

Als Deutschland den „Hambi“ lieben lernte

Eines steht also fest: Nicht Laschet und seine CDU haben „Hambi“ gerettet und den Kohleausstieg beschleunigt, sondern selbstüberzeugte Menschen, die sich der Weltrettung verschrieben haben – und oft dafür belächelt oder verachtet wurden. Die sich an kalten und heißen, an trockenen und nassen Tagen und Nächsten im Wald gegen die Rodung gestemmt haben. Das war nicht immer legal, sorgte aber dafür, dass das politische Deutschland sich eine Meinung bildete – und „Hambi“ lieben lernte. Die Aktivisten werden bleiben. Weil sie Erfolg hatten – gegen Laschet und Co.

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