Trotz der Verhaftungswelle gegen Oppositionelle und Journalisten in der Türkei will sich Deutschland wieder um engere Kontakte zu dem Land bemühen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) fliegt dazu kommende Woche erstmals seit dem Putschversuch Mitte Juli nach Ankara.

Im Bundestag gab es von allen Parteien massive Kritik an Präsident Recep Tayyip Erdogan. Trotzdem verlängerte das Berliner Parlament wenige Stunden später den Anti-IS-Einsatz der Bundeswehr auf dem türkischen Nato-Stützpunkt Incirlik.

In einer Aktuellen Stunde machte Steinmeier zuvor deutlich, dass die Bundesregierung mit Erdogans Vorgehen gegen die Opposition nicht einverstanden ist: «Aus Polarisierung und grenzenloser Konfrontation ist noch nie Gutes erwachsen.» Die Türkei stehe heute an einer «Wegscheide», ob sie sich weiter in Richtung Demokratie entwickle oder nicht.

Das Verhältnis zwischen beiden Staaten ist wegen verschiedener Themen seit mehreren Monaten erheblich belastet. Erdogan warf Berlin mehrfach vor, in Deutschland «Terroristen» Unterschlupf zu bieten. Steinmeier wies dies erneut zurück. Zudem gab es aus der Türkei Kritik, dass es die Bundesregierung nach dem Putschversuch an Unterstützung habe fehlen lassen. Ärger gab es ferner um die Armenier-Resolution des Bundestags. Vor diesem Hintergrund hatte die Türkei zeitweise den Besuch deutscher Parlamentarier bei den Bundeswehr-Soldaten in Incirlik untersagt.

Aus diesem Grund stimmte am Abend nicht nur die Opposition gegen die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Incirlik, sondern auch 27 Sozialdemokraten und zwei CDU-Abgeordnete. Wegen der innenpolitischen Lage in der Türkei gab es bereits vorher Unmut in der Koalition. Deshalb hatte die Bundesregierung im Verteidigungsausschuss eine Erklärung zu Protokoll gegeben, wonach sie Alternativstandorte zu Incirlik prüfen werde. Außerdem wolle sie sich bei der türkischen Regierung dafür einsetzen, dass alle Abgeordneten die deutschen Soldaten in Incirlik besuchen können.

Der Bundeswehr-Einsatz wurde mit dem Parlamentsvotum aber nicht nur verlängert, sondern auch ausgeweitet. Neben «Tornado»-Aufklärungsjets, einem Tankflugzeug und einem Kriegsschiff sollen künftig auch deutsche Soldaten in «Awacs»-Aufklärungsmaschinen die Luftangriffe gegen IS-Stellungen in Syrien und im Irak unterstützen. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Niels Annen, betonte, es sei «kein Einsatz für die Türkei und erst recht nicht für die türkische Regierung oder ihren Präsidenten Herrn Erdogan». Es gehe vielmehr um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und damit auch um die Sicherheit Deutschlands.

Erdogans aktuelle Politik stieß aber fraktionsübergreifend auf Kritik. Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) beklagte: «Erdogan verbreitet Angst und Schrecken. Das macht ihn mehr und mehr zum Totengräber von Rechtsstaat und Demokratie.» Der CDU-Abgeordnete Franz Josef Jung warf dem türkischen Präsidenten vor, sein Land in einen «autoritären, islamisch- und nationalistisch-geprägten Staat» umbauen zu wollen. «Das hat mit den Wertgrundsätzen Europas und der Nato nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun.»

Read more on Source