Auf der Suche nach dem nächsten Bundespräsidenten hat Sahra Wagenknecht, die Linke-Spitzenfrau, den bis dato originellsten Weg eingeschlagen: Sie schaute mal kurz in Absurdistan vorbei – und wurde fündig. Norbert Blüm, so verkündete sie am vergangenen Wochenende, sei für die Linke durchaus wählbar. Ein 81-jähriger christdemokratischer Sozialapostel im Ruhestand, den in seiner eigenen Partei viele irgendwohin wüschen, aber niemand ins Schloss Bellevue. Aber immerhin: Wagenknecht kennt einen CDU-Politiker, den sie gern ins Rennen schicken würde.
Bei Angela Merkel kann man sich da nicht so sicher sein.
Im Juni verkündete Bundespräsident Joachim Gauck, 76, aus Altersgründen auf eine zweite Amtszeit zu verzichten. Seitdem, also seit fünf Monaten, weiß die CDU-Chefin und Kanzlerin, dass sie einen Nachfolger finden muss. Gefunden wurde aber bisher nur ein ernsthafter Bewerber – und zwar von Sigmar Gabriel. Vor gut zwei Wochen brach der SPD-Chef seine Absprache mit Merkel, gemeinsam nach einem überparteilichen Kandidaten suchen zu wollen und schlug Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor. Der beliebteste Politiker fürs höchste Staatsamt – Gabriel hatte schon deutlich schlechtere Ideen.
Die SPD verfügt zwar in der Bundesversammlung, dem Gremium, das den Präsidenten wählt, über deutlich weniger Stimmen als die Union (387 zu 542). Doch ihr Kandidat Steinmeier hat nun etwas auf seiner Seite, das ihm hinreichend Unterstützung aus anderen Parteien einbringen könnte: das Momentum.
Für Merkel verlief das vergangene Wochenende gleich doppelt mies. Zuerst sagte der wohl aussichtsreichste Unions-Kandidat für die Gauck-Nachfolge, Bundestagspräsident Norbert Lammert, auf gleich mehreren Fernsehkanälen in solch formvollendeter Rhetorik ab, dass dies selbst seine Kritiker in den eigenen Reihen („der Unfehlbare“) beinahe bedauert hätten. Und dann machte Gabriel beim Sechs-Augen-Gipfel mit Merkel und Seehofer klar, dass er von seinem Kandidaten Steinmeier nicht mehr abrückt.
An diesem Freitag wollen die drei Parteichefs nochmals im Kanzleramt zusammen kommen. Bis dahin kann sich Merkel überlegen, wann sie lieber verlieren möchte: Jetzt, bei der Kandidaten-Kür – oder im kommenden Februar, wenn der Präsident gewählt wird.
Für die Geschichte von Angela Merkel und den Bundespräsidenten gilt die alte Fußballweisheit des kickenden Philosophen Jürgen „die Kobra“ Wegmann: „Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech hinzu.“ Die ersten beiden Staatsoberhäupter, die Merkel auswählte – Horst Köhler und Christian Wulff – traten weit vor Ablauf ihrer Amtszeit zurück. Zum dritten, Gauck, musste die Kanzlerin von einem Bündnis aus Rot-Grün und Liberalen gezwungen werden. Und just in dem Moment, da sie Gauck klasse fand, fand der sich zu alt. Jetzt, in ihrem vierten Anlauf, kann Merkel nach fünf Monaten Suche kaum mehr aufweisen als die Absagen ihrer Favoriten. Vor Lammert hatte bereits der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, kundgetan, nicht zur Verfügung zu stehen. Die SPD hat Steinmeier – und Merkel ein Problem.
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