200 neue Mitglieder an einem Tag, Standing Ovations in der Fraktion, selbst die Umfragewerte der SPD gehen nach oben. Gerade mal zwei Tage ist Martin Schulz der designierte Kanzlerkandidat der SPD – und auf einmal wirkt die Partei wie auf Droge.

„Wahnsinn“, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Axel Schäfer nach dem Schulz-Auftritt vor der Fraktion am Mittwoch. „Mitten ins Herz, aber auch in Kopf und Bauch“. Generalsekretärin Katarina Barley schien noch am Abend im ZDF-Interview mit Klaus Kleber geradezu verliebt von der Vorstellung, jetzt mit Schulz statt mit Gabriel in den Wahlkampf zu ziehen. „Wir haben einen sehr charismatischen Spitzenkandidaten, der die Menschen begeistern kann“, jubelte Barley. Und machte „Aufbruchsstimmung“ in ihrer Partei aus, die jetzt endlich „den nächsten Schritt gehen“ könne.

SPD will mit Schulz den nächsten Schritt gehen

Der soll tatsächlich direkt ins Kanzleramt führen. Das hat der neue Hoffnungsträger unmissverständlich klar gemacht. „Die SPD tritt an, um dieses Land zu führen“, sagte Schulz bei seinem Auftritt vor der Fraktion. „Wir wollen in welcher Konstellation auch immer den Bundeskanzler stellen.“ Er selbst werde, so zitiert ihn die „Süddeutsche Zeitung“ laut Teilnehmern, „im Stehen, im Liegen, zu Wasser zu Lande und in der Luft dafür kämpfen, dass ich euer nächster Bundeskanzler werde“.

Pure Selbstverständlichkeit eigentlich für einen Spitzenkandidaten. Doch allein solche Binsen hauchen den Genossen urplötzlich Kampfgeist ein, wo vorher nur düsteres Brüten über die sicher geglaubte Niederlage gegen Merkel war.

Wie kommt das bloß? An der Ausgangslage hat sich schließlich nichts verändert. 16 Prozentpunkte liegt die SPD im aktuellen stern-RTL-Wahltrend (erhoben noch vor der Kandidaten-Verkündung) hinter der CDU. Eine reale Machtoption mit einem Rot vorneweg, egal ob Rot-Grün, Rot-Rot-Grün oder Rot-Grün-Gelb, hat Schulz nicht.

Dennoch hält Hannelore Kraft, SPD-Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, einen Sieg von Schulz über Merkel für „kein unrealistisches Ziel“ und macht im Deutschlandfunk folgende Rechnung auf: „Wenn sie (Merkel), zehn Punkte weg ist, sind das fünf rauf und fünf runter“, so Kraft. Dass ein solcher Swing möglich sei, habe die SPD bereits bewiesen: Bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, als Malu Dreyer monatelang konstant zehn Prozent hinter ihrer CDU-Widersacherin Julia Klöckner lag, am Ende aber doch das Rennen machte.

Wo kommt die SPD-Euphorie her?

Genossen-Euphorie allenthalben. Doch wo kommt die eigentlich her? Als großartiger Charismatiker ist Schulz bislang – außer Generalsekretärin Barley – kaum jemandem aufgefallen. Und auch die These, er sei nicht dem politischen Establishment zuzurechnen verfängt nur, wenn man Brüssel und Europa aus eben diesem Establishment ausklammert.

Was stimmt: Schulz hat mit den SPD-Verbiegungen in der Großen Koalition nichts zu tun. Er kann Merkel unvorbelastet angreifen und einen glaubwürdigen Attacke-Wahlkampf führen. Hinzu kommt eine mustergültige sozialdemokratische Biografie (Schule abgebrochen, Alkoholsucht überwunden, Wurzeln in der Lokalpolitik). Das reicht den Genossen zum Liebhaben.

Was aber auch stimmt: Ein Großteil der aktuellen Begeisterung für Schulz ist der Tatsache geschuldet, dass es Gabriel eben nicht macht. Der Stoßseufzer bei seinem Verzicht war bis in den kleinsten SPD-Ortsverein zu spüren.

Ein klein wenig von dieser Erleichterung ist offenbar auch bei den Wählern angekommen. Das kann man zumindest dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend entnehmen, wo Schulz der Kanzlerin erstaunlich nahe kommt. Für den theoretischen Fall, dass man den Kanzler direkt wählen könnte, würden sich demzufolge 41 Prozent der Befragten für Angela Merkel entscheiden (-2 Punkte seit Dezember). Ebenso viele, 41 Prozent, würden Schulz wählen (+5), ermittelte Infratest dimap. Zwar wissen 65 Prozent der Befragten nach eigenen Angaben bisher nicht, für welche Politik Schulz eigentlich steht. Dennoch gaben sie ihm gute Bewertungen. Bei einigen Kriterien schneidet er sogar leicht besser ab als Merkel, etwa bei der Glaubwürdigkeit (Schulz: 65 Prozent, Merkel: 64 Prozent) und Sympathie (Schulz:69, Merkel: 63).

Schulz auf Schlagdistanz zu Merkel

Merkel gegen Gabriel, dieses Duell hatten nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die Wähler von vornherein verloren gegeben. Merkel gegen Schulz ist zwar immer noch kein Kampf auf Augenhöhe. Aber man hat den Eindruck, dass der SPD-Widersacher der Kanzlerin immerhin auf Schlagdistanz nahe kommen könnte. Diesen kleinen Sieg kann Schulz schon jetzt für sich in Anspruch nehmen.

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