Rückenstärkung für Merkel

Berlin (dpa) – Nach dem CDU-Beschluss zur Aufhebung des Koalitionskompromisses zur doppelten Staatsbürgerschaft versuchen führende Christdemokraten, die Wogen zu glätten. Die stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner und Volker Bouffier stellten sich hinter Kanzlerin Angela Merkel.

Die Parteichefin hatte direkt nach der
umstrittenen Entscheidung des Parteitags in Essen erklärt, beim Doppelpass werde es in dieser Legislaturperiode
keine Änderung geben.

Scharfe Kritik an dem Delegierten-Votum kam erneut von SPD und Grünen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZDM) nannte den CDU-Beschluss ein «fatales Signal für die Betroffenen». Lob kam von CSU-Chef Horst Seehofer und
aus der AfD.

Merkel hatte direkt nach dem CDU-Kongress in TV-Interviews erklärt, sie halte den Parteitagsbeschluss für falsch. «Ich glaube auch nicht, dass wir einen Wahlkampf über den Doppelpass machen, wie wir das früher mal gemacht haben», ergänzte sie. Die Delegierten hatten mit knapper Mehrheit für einen Antrag der Jungen Union gestimmt, die sogenannte
Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder einzuführen. Dabei geht es hauptsächlich um Kinder türkischer Eltern.

SPD-Vize Ralf Stegner vertrat im Bayerischen Rundfunk die Ansicht, Merkel sei nach dem Beschluss geschwächt. Die Entscheidung treibe die Deutschtürken in die Arme des umstrittenen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der Sprecher des einflussreichen linken Flügels in der SPD-Fraktion, Matthias Miersch, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Für die SPD ist damit klar, dass die Zeit der großen Koalition zu Ende geht.»

Grünen-Chef Cem Özdemir warf der CDU einen Schlingerkurs vor. Sie verfolge «mal eine liberale Flüchtlingspolitik, dann wieder das Gegenteil», sagte er im Deutschlandfunk. Die Co-Vorsitzende Simone Peter sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: «Die CDU zelebriert einen Rechtsruck in der Flüchtlingspolitik.» Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Mit uns wird es die Wiedereinführung der Optionspflicht nicht geben.»

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) sagte den Dortmunder «Ruhr Nachrichten», eine Umsetzung des Parteitagsbeschlusses im Parlament wäre nur mit anderen Fraktionen möglich. «Das zeichnet sich derzeit nicht ab.» CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte der dpa: «Wir haben einen Koalitionsvertrag geschlossen. An den halten wir uns, so wie wir das an anderer Stelle von der SPD erwarten.»

Der hessische Ministerpräsident Bouffier sagte «FAZ.NET», bei dem Beschluss zum Doppelpass handele es sich um ein «Stimmungsbild des Parteitages». Er rechne nicht damit, «dass dieser Beschluss in die Regierungsarbeit in Berlin eingehen wird». Auch glaube er nicht, dass die Chancen für eine schwarz-grüne Koalition im Bund gesunken seien. CDU-Vize Klöckner sagte in Mainz, ein Parteitag stehe für CDU pur und «nicht dafür, dass am nächsten Tag der Koalitionsvertrag umgeschmissen wird».

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, nannte den CDU-Beschluss «das Gegenteil von verlässlicher Politik». Der dpa sagte er: «Mit solch einem Signal stärken wir jene, die keine Antwort auf den Wandel haben, sondern nur Angst, sowie die Instrumentalisierer dieser Angst.»

CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich mit der «Gesamtentwicklung» der Schwesterpartei zufrieden. Merkel und die CDU bewegten sich auf die CSU zu. In der «Süddeutschen Zeitung» betonte er aber auch: «Wir sind noch längst nicht über den Berg.»

Zufrieden zeigte sich die AfD. «Wir werden jedes Ansinnen und jede Bestrebung, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen, unterstützen», erklärte AfD-Vize Alexander Gauland.

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CDU, CSU und SPD hatten sich in ihren Koalitionsverhandlungen auf die Abschaffung des Optionszwangs für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern geeinigt. Im Koalitionsvertrag lautet die entsprechende Passage: «Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Im übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht.»

Die CDU hatte den Koalitionsvertrag am 9. Dezember 2013 bei einem Kleinen Parteitag in Berlin fast einstimmig abgesegnet: Es gab keine Nein-Stimme und nur zwei Enthaltungen. Auch das heutige CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn, das sich auf dem CDU-Parteitag in Essen massiv für ein Ende des Kompromisses mit der SPD stark gemacht hatte, war damals dabei.

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