Vor 16 Jahren stand Angela Merkel schon einmal in der Gruga-Halle in Essen. Damals hatte die CDU gerade die bis dato schwerste Krise ihrer Geschichte hinter sich. Die Spendenaffäre hatte die Partei bis ins Mark erschüttert und sie einen Ehrenvorsitzenden und einen Vorsitzenden gekostet. Merkel war damals die junge Hoffnungsträgerin der Partei. Mit 96 Prozent wurde sie zur Vorsitzenden gewählt. Sie hätte, schrieb die Süddeutsche Zeitung damals, von ihrer Partei nicht mehr verehrt werden können, wenn sie mit einem Strahlenkranz um den Kopf herum gelaufen wäre.
An diesem Dienstag wird Merkel am selben Ort zum neunten Mal zur Parteivorsitzenden gewählt werden. Doch ob es ihr noch einmal gelingt, in ihrer Partei das Gefühl von Aufbruch und Neuanfang zu wecken? Ihr Hoffnung auf eine gute Zukunft unter ihrer Führung zu machen?
Wenn Merkel vor den tausend CDU-Delegierten ans Redner-Pult tritt, trifft sie auf eine Partei, die zumindest in Teilen verunsichert ist. Und diesmal ist sie mit schuld an diesem Zustand. Die von ihr verantwortete Flüchtlingspolitik hat nicht nur die Gesellschaft gespalten – in treue Anhänger weit über das eigentliche CDU-Milieu hinaus auf der einen Seite und vehemente Kritiker auch in den eigenen Reihen auf der anderen. Sie hat auch dazu geführt, dass innerhalb der Partei die Frage, wofür die CDU eigentlich noch steht, mit neuer Dringlichkeit gestellt wird.
Anders als bei den früheren Umorientierungen, die Merkel ihrer Partei vom Atomausstieg bis zur Aufgabe der Wehrpflicht in den vergangenen 16 Jahren zugemutet hat, steht diesmal die Gefahr des Machtverlusts im Raum. Im ausgehenden Jahr musste die CDU gleich mehrere schmerzliche Landtagswahlniederlagen hinnehmen, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, die Umfragewerte brachen ein – und, was natürlich am meisten weh tut: Mit der AfD entstand eine Konkurrenz am rechten Rand, die die CDU dauerhaft zu schwächen droht.
Dass die Populisten in ganz Europa am Sonntagabend mit dem Sieg des österreichischen Grünen Alexander Van der Bellen über den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer einen Rückschlag erlebten, mag die Stimmung auf dem CDU-Parteitag heben. Schließlich hatte Hofer versucht, mit Anti-Merkel-Polemik Stimmung zu machen, während Van der Bellen sie verteidigte. Doch mehr als ein Etappensieg im Kampf gegen den Rechtspopulismus insgesamt ist Hofers Niederlage nicht, wie auch das Scheitern der Verfassungsreform in Italien am selben Sonntag zeigt.
Merkel-Kritiker sind eine Minderheit
Bei all dem darf aber auch nicht übersehen werden, dass die Merkel-Gegner in der CDU nach wie vor eine Minderheit sind. Nie hat es während des vergangenen Jahres, das für Merkel sicher das schwierigste ihrer nun elfjährigen Kanzlerschaft war, einen offenen Aufstand gegen sie an der Spitze der Partei oder in der Bundestagsfraktion gegeben.
Zwar bilden sich hier und da konservative Bündnisse, zuletzt etwa ein „Konservativer Kreis“ in Nordrhein-Westfalen oder ein Bündnis von Ex-Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung, die mit ihrer Partei hadern. Doch prominente CDU-Politiker sucht man dort vergeblich. Und auch auf den vier Regionalkonferenzen mit mehreren Tausend Teilnehmern, denen sich Merkel unmittelbar vor dem Parteitag stellte, gab es zwar CDU-Mitglieder, die sie zum Rücktritt aufforderten oder gar als „Nemesis der CDU“ beschimpften, doch die Mehrheit war das keinesfalls.
CDU-Werte steigen
Stattdessen wurde Merkel vielfach für ihre Arbeit gedankt und Erleichterung darüber ausgedrückt, dass sie zu einer weiteren Kanzlerkandidatur bereit ist. Das korreliert mit einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, wonach 89 Prozent der Unions-Anhänger sich darüber freuen, dass Merkel noch einmal antreten will. Und es lässt sich auch nicht von der Hand weisen, dass die Umfragewerte der CDU deutlich nach oben gegangen sind, seit bekannt geworden war, dass Merkel erneut kandidiert.
Die Erfolge der Populisten auf der ganzen Welt schwächen Merkel nicht nur, sie stärken sie auch – außerhalb und innerhalb der Partei. In Zeiten extremer Unsicherheit erscheint sie als letzter Stabilitätsanker. Ihre Erfahrung, ihr internationales Renommee – darauf wird die CDU auch im kommenden Bundestagswahlkampf setzen. Gleichwohl wird Merkel auf dem Parteitag einiges erklären müssen: wieso genau sie noch einmal als Kanzlerkandidatin antreten will, welche Ziele sie hat und wie sie sich der Gefahr von rechts erwehren will.
Wie gut ihr das gelingt, könnte auch an dem Ergebnis abzulesen sein, mit dem die Partei sie erneut zur Vorsitzenden wählt. Allzu viel Sorgen muss Merkel wohl nicht machen. Die CDU gilt als disziplinierter Kampfverein. Da Merkel wieder antritt, würde es niemandem helfen, sie mit einem schlechten Ergebnis in den kommenden Wahlkampf zu schicken.
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