Es gibt momentan viele Themen mit hohem politischen Handlungsbedarf: Frieden und Sicherheit, Klimaschutz oder die Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa. Der Handel mit Kanada gehört nicht dazu, der brummt nämlich auch ohne Ceta: auf rund 90 Milliarden Euro jährlich belaufen sich die Geschäfte zwischen der Europäischen Union und Kanada. Warum ist die Aufregung um Ceta dann so groß?

Der Hauptgrund: Ceta ist kein klassisches Handelsabkommen, bei dem es um Zölle oder technische Standards geht. Die Zölle sind kaum der Rede wert und bei technischen Standards kann man sich auch jetzt schon einigen. Ceta ist mehr als ein Freihandelsabkommen, es greift tief in Demokratie und Rechtsstaat, in Verbraucher- und Umweltschutz ein. Deshalb sind bei der Verabschiedung von Ceta nicht nur die europäischen Institutionen gefragt, sondern unter anderem das Regionalparlament von Wallonien oder der deutsche Bundesrat. 

Nicht einmal wir als Ceta-Kritiker nennen den Widerstand der Wallonen einen heroischen Akt. Denn wer eine fortschrittliche, eine bessere EU will, der weiß: da kann man nicht immer auf einen 100 Prozent-Konsens warten. Verfahren und ihre politischen Auswirkungen müssen von Anfang an klar sein. Bei Ceta (und bei TTIP) heißt das: erstreckt sich der Regelungsbereich jenseits der ausschließlich europäischen Kompetenzen, dann reden auch nicht nur europäische Institutionen mit. Also braucht man ein ganz anderes politisches Mandat, nämlich eines, das alle Betroffenen einbezieht. Wer jetzt auf die Wallonen haut, der sollte besser die Architekten von Ceta ins Visier nehmen. Sie haben es versäumt, für klare Verhältnisse zu sorgen.

Ska Keller und Anton Hofreiter

Ska Keller ist handelspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Im Dezember will sie Fraktionsvorsitzende der europäischen Grünen werden.

Anton Hofreiter ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Er bewirbt sich in einem Mitgliederentscheid um die Position als Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl.

Handel kann Armut beenden

Das gleiche gilt für TTIP. Das wird zwar mit Durchhalteparolen von Juncker und Merkel am Leben erhalten, ist aber politisch mausetot. Auch der neue US-Präsident Donald Trump hat Wahlkampf gegen TTIP gemacht. Wir brauchen also einen generellen Neustart in der europäischen Handelspolitik.

Handel kann zur Armutsbekämpfung beitragen und dank des Exports haben gerade in China viele den Sprung aus der Armut geschafft. Aber es gibt auch viele Verlierer: Beschäftigte in den reichen Ländern, deren Jobs anderswo erledigt werden. Die Umwelt, weil Produktion und Transport massenweise Schadstoffe produzieren. Die nationale Politik, weil ihre Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist.

Wir brauchen eine neue Handelspolitik. Bisher folgt sie überwiegend unternehmerischen Interessen, eine moderne Handelspolitik muss aber dem Ziel folgen, Wohlstand für alle zu schaffen. Dabei geht es unter anderem um bessere Chancen gerade für den globalen Süden, Achtung der Menschenrechte, Schutz der ArbeitnehmerInnen sowie Klima- und Umweltschutz. Handelspolitik schwebt nicht im luftleeren Raum sondern befindet sich immer in Wechselwirkungen mit anderen Politikfeldern. Beispiel Klimaschutz: Es kann nicht sein, dass wir in Paris ein globales Klimaabkommen beschließen und dessen Ziele mit unserer Handelspolitik konterkarieren.

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