Es
hätte auch das Staffelfinale einer stalinistischen Castingshow sein
können: Um kurz nach 12 Uhr Pekinger Ortszeit schwingen die meterhohen
Türflügel auf der Ostseite des Goldenen Saals in der Großen Halle des
Volkes zur Seite. Xi Jinping schreitet
voran, nach ihm defilieren seine sechs neuernannten wichtigsten
Gefolgsmänner in den Raum. Applaus ertönt aus den Zuschauerreihen, Xis
Getreue klatschen in einer bierzelthaften Geste mit.
Es
ist ein von der chinesischen Staatspropaganda sorgsam inszenierter,
bizarrer Sesam-öffne-dich-Moment, dessen imperialer Bombast einen
schaudern lässt. Die Ästhetik dieser Kaiserkrönung, die für China und
die Welt eine Zäsur darstellt, ist purer Anachronismus. Und doch wirkt
sie erschreckend modern: Die Mitglieder des neuen Ständigen Komitees des
Politbüros (PBSK), des höchsten Machtgremiums der kommunistischen
Führung, laufen ein wie auf einem Laufsteg. Wer auch immer die
chinesische Leni Riefenstahl dahinter war, hat sich in Hinblick auf die
heutigen Verbreitungswege von Bildern etwas dabei gedacht.
Keine zwanzig Minuten dauert die Ansprache Xis zur Vorstellung des neuen Ständigen Komitees. Selbst Mao Zedong gab
sich volksnaher, könnte man sagen. Der erste große Steuermann der
Volksrepublik sprach seinerzeit zu wichtigen Anlässen vom Balkon des
Tors des Himmlischen Friedens, umringt von Statthaltern und vor den
Augen der herbeigelotsten Massen. Bei Xi sind nur ausgewählte Vertreter
der chinesischen und ausländischen Presse anwesend, es gibt keine
Fragen, und es spricht niemand außer ihm selbst.
Der 20. Parteitag war
ein Durchmarsch Xis auf ganzer Linie. Hatten optimistische Analysten
noch darauf spekuliert, dass ein Moderater wie Wang Yang zur Nummer zwei
und damit zum Premierminister aufsteigen würde, sind nun die Chancen
eines noch so minimalen Kurswechsels scheinbar dahin. Alle neuen
Machtgremien, das neu ernannte Ständige Komitee, das 25-köpfige
Politbüro sowie das gestern verkündete neue Zentralkomittee sind zu
Beginn der dritten Amtszeit Xis nun von Loyalisten dominiert, deutlich
stärker noch, als Pessimisten vorgesagt hatten. Sämtliche bisherigen
Alters- und Amtszeitgrenzen, die Öffnungspolitiker Deng Xiaoping nach
Maos Tod installiert hatte, sind außer Kraft gesetzt. Im neuen Politbüro
ist zum ersten Mal seit 25 Jahren keine einzige Frau mehr vertreten.
Während
Xi spricht, stehen die sechs anderen Mitglieder des neuen Ständigen
Komitees aufgereiht neben ihm, stumm wie Zinnsoldaten. Die
symbolträchtigste Personalie in diesem Komitee ist die Benennung des
bisherigen Shanghaier Parteichefs Li Qiang zur Nummer zwei hinter Xi,
damit ist er quasi für den Posten des Premiers gesetzt. Das Shanghaier
Lockdown-Chaos in diesem Frühjahr geht auf Lis Kappe. In Wuhan rollten
Anfang 2020 reihenweise Köpfe in der Provinzführung, als die dortigen
Kader in der Seuchenbekämpfung versagten. Li aber, einer der engsten
Vertrauten Xis, wird nun befördert. Damit ist klar: Was zählt ist im
chinesischen Staatsapparat ist nicht mehr Leistung, sondern Loyalität.
Dafür steht auch der Verbleib von Xis Chefideologen Wang Huning im
Ständigen Komitee. Er hätte mit 68 in Rente gehen müssen, wird aber als
Vordenker der „Xi Jinping Ideen des Sozialismus chinesischer Prägung in
der neuen Ära“, kurz Xi Jinping-Gedanken, weiter von seinem Boss
gebraucht.
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