Joe Bidens Diktatoren-Vergleich, das ratlose China-Papier der EU, die China-Delegation in Berlin: Das Reich der Mitte hat die Herrschaft übernommen und diktiert dem Westen, wo es langgeht.Vermutlich dachte Joe Biden bei einer Parteispendenveranstaltung in Kalifornien, er müsse mal ordentlich Gas geben. Denn bei diesen Zusammenkünften gilt: Gasgeben bringt Geld. Je mehr der Geldeintreiber auf die Pauke haut, in dem Fall der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, desto mehr klingelt die Kasse.Mag sein, dass es sich für das Wahlkampfkonto der Demokratie lohnte, als Biden den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping expressis verbis einen „Diktator“ nannte. Für die Weltpolitik und die Statik der Supermächte auf dem Globus war die Aussage eine Katastrophe. Kurz vorher noch war der amerikanische Außenminister zu einem recht frostigen Besuch in Peking angekommen. Ein Versuch, nach Jahren der Entfremdung zarte Bande zu knüpfen.Beleg zunehmender SchwächeDa haut Biden mit diesem Satz wieder alles zu Klump. Seine Äußerung spielt in der Kategorie der unseligen Äußerung des letzten demokratischen Vorgängers Bidens, Barack Obama, der die Wut Russlands und Wladimir Putins 2014 ohne Not reizte, indem er das größte Land der Welt wörtlich zu einer „Regionalmacht“ erklärte. Nur weil etwas wahr ist (das gilt für beide Aussagen), heißt das lange nicht, dass es für einen US-Präsidenten und mindestens vormals mächtigsten Mann der Welt opportun ist, sie auszusprechen.Tatsächlich spiegelt sich in Bidens Diktatoren-Äußerung eine tektonische Machtverschiebung auf der Welt. Man wird nur laut und ausfallend, wenn man nicht mehr souverän ist. Wenn man spürt, dass sich da eine überlegene Kraft aufbaut. Bidens Satz signalisiert keine Stärke. Er ist böse Kraftmeierei, Beleg einer zunehmenden Schwäche. Außerdem muss Biden wissen, dass der alte Satz Herbert Wehners gilt: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen. Die USA werden es gar nicht vermeiden können, mit China, vielleicht sogar unter der Führung Chinas, eines Tages einen Frieden in und für die Ukraine herbeizuführen. Zum Beispiel.Seifenblasen zerplatzen vor aller AugenDie Not und Hilflosigkeit des Westens gegenüber China manifestierte sich vergangene Woche noch bei zwei anderen Begebenheiten. Die Europäische Kommission verfasst gerade, wie bekannt wurde, ein Strategiepapier zu China, das – nach den Konturen, die bekannt geworden sind – sich zwar in Haarspaltereien ergehen kann, ob es nun „de-risking“ oder eher „de-coupling“ sei, das man gegenüber China anstreben müsse. Aber ansonsten schwächlich, blässlich und vage bleibt.Tatsache scheint, dass diese Sophismen leider dem Versuch gleichen, Seifenblasen wieder in die Pustefix-Flasche zu bekommen. Sie zerplatzen stattdessen vor aller Augen. Die Abhängigkeit von einem Land, das der Westen mehr und mehr und zu Recht als systemischen Gegner begreift, ist mittlerweile so groß, dass es egal ist, wie man sie nennt beziehungsweise die Versuche, daran noch etwas zu ändern. China hat „faits accomplis“, vollendete Tatsachen, geschaffen, hinter die man nicht mehr zurückkommt, ohne sich selbst mehr zu schaden als dem Land, dem die Maßnahmen gelten sollten.Griff nach der WeltherrschaftIn der Klimadiskussion wird oft von Kipppunkten gesprochen, nach denen alle Mühen vergeblich sind, noch etwas zu retten. Unabhängig davon, dass der Begriff und die dahinter stehende These bei Klimafragen umstritten ist: Bei China ist der Kipppunkt definitiv erreicht, wenn nicht überschritten. Wer das Land hätte aufhalten wollen bei seinem Griff nach der Weltherrschaft, hätte das früher tun müssen.Vor Jahren hatte sich der asiatische Riese vorgenommen, seine passive Rolle auf der Weltbühne aufzugeben und offensiv ins Weltgeschehen jenseits des Ökonomischen einzugreifen. Ressourcenaufkauf in Afrika und Lateinamerika, Hafenübernahmen, die Neue Seidenstraße und massive Aufrüstung sind nur vier manifeste Folgen dieses Strategiewechsels.Inzwischen geht die chinesische Führung offen dazu über, Bündnisse mit Ländern zu schmieden, deren Auswahl nur einer Frage gehorcht: Bist du Freund oder Feind der USA? Im Fall zwei der Antwort bekommt sogar der seit Jahren in der Versenkung verschwundene Palästinenserchef Mahmud Abbas einen viertägigen Staatsbesuch in Peking zugebilligt. Gemessen an der Bedeutung des dysfunktionalen Staatengebildes, dem Abbas vorsteht, wären zehn Minuten und ein Handshake schon mehr gewesen, als der sich hätte wünschen können.China übernimmt als Gast das ZepterEin drittes Ereignis, an dem sich vergangene Woche die Verschiebung der Machtverhältnisse auf der Welt ablesen lassen konnten, waren die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin. Man hatte sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt, dass die USA in Deutschland die Regie übernehmen, das Drehbuch schreiben und die Kanaldeckel zuschweißen lassen, und zwar von eigenen Sicherheitskräften.Aber dass China als Gast das Zepter übernimmt, daran muss man sich erst langsam gewöhnen. Bundeskanzler Olaf Scholz blieb nichts anderes übrig, als sein Grinsen, das Markus Söder einmal treffend „schlumpfig“ nannte, Richtung Gast aufzusetzen, als nach den Statements des chinesischen Ministerpräsidenten und ihm die Begegnung mit den Korrespondenten ohne die Möglichkeit von Nachfragen zu Ende ging. Das, was die deutsche Regierung für China bei Besuchen in Peking immer pflichtschuldig fordert, konnte sie bei diesem Besuch nicht einmal mehr auf deutschem Boden durchsetzen.Es nennt sich Pressefreiheit.

Lesen Sie mehr auf Quelle