Die Gästeliste, nun ja. Sie beneide die Leute nicht, die für Joe Bidens „Summit for Democracy“ die Gästeliste zusammenstellen mussten, sagt Anne-Marie Slaughter und lacht. Vor einigen Jahren hätte sie sich noch selbst damit beschäftigen müssen, welche Staats- und Regierungschefs als lupenreine Demokraten eine Einladung zu einem solchen Gipfel verdienten – und welche eher nicht. Slaughter war von 2009 bis 2011 unter Hillary Clinton Planungschefin im US-Außenministerium, heute leitet sie den Thinktank New America in Washington. Die Biden-Regierung habe sie gebeten, bei dem virtuellen Demokratie-Gipfel, der an diesem Donnerstag beginnt, ein Panel zu moderieren, erzählt sie. Slaughter hat zugesagt – obwohl sie nicht sicher ist, dass dieser Gipfel eine so gute Idee ist.
Denn die Frage, wer auf die Gästeliste gehört, ist ja nur der Anfang. Und schon so kompliziert, dass sie in den vergangenen Wochen für erbitterte Diskussionen sorgte. Warum stehen Pakistan und die Philippinen auf der Liste, Bangladesch und Sri Lanka jedoch nicht? Warum Polen, aber nicht Ungarn? Ist Brasilien unter Präsident Bolsonaro eine funktionierende Demokratie? Ist die Demokratische Republik Kongo (eingeladen) demokratischer als die Türkei (nicht eingeladen)? Und wie soll man darauf reagieren, wenn die Botschafter Chinas und Russlands in Washington in einem gemeinsamen Meinungsartikel behaupten, ihre Länder seien im Herzen auch demokratisch? Mit anderen Worten: Wo genau verläuft die Grenze zwischen Demokraten und Autokraten?
„Es ist unmöglich, diese Grenze sauber zu ziehen“, sagt Slaughter, „es sei denn, man beschränkt sich auf eine sehr geringe Zahl von Ländern.“ In Brasilien etwa sehe sie „zahlreiche Probleme“, andererseits sei die Regierung demokratisch gewählt worden. „Außerdem hatten wir in den USA ähnliche Probleme mit Donald Trump.“ Man könne eben nicht so glasklar zwischen Demokratie und Autokratie unterscheiden, sagt Slaughter, wie einst im Kalten Krieg zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
Vertreter von mehr als hundert Staaten diskutieren nun auf Einladung des amerikanischen Präsidenten zwei Tage lang darüber, wie sich Pressefreiheit und freie Wahlen schützen lassen, was gegen Korruption zu tun ist oder wie die politische und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen und marginalisierten Gruppen vergrößert werden kann. In einem Jahr soll es dann einen zweiten Demokratie-Gipfel geben, bei dem Fortschritte präsentiert werden.
Joe Biden will damit ein zentrales Wahlkampfversprechen erfüllen: dass er die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen werde, in den USA und weltweit. Was seiner Meinung nach auf dem Spiel steht, erklärte er als Präsidentschaftskandidat im März 2020 in einem Essay in Foreign Affairs: „Der Triumph der Demokratie und des Liberalismus über Faschismus und Autokratie hat die freie Welt geschaffen. Aber dieser Wettkampf prägt nicht nur unsere Vergangenheit. Er wird unsere Zukunft bestimmen.“
Wer wollte ihm da widersprechen? Wenn Demokraten und schadenfrohe Autokraten sich auf etwas einigen können, dann auf dies: Die Demokratie steckt in einer fundamentalen Krise. Der Präsidentschaftskandidat Biden analysierte diese treffend: „Demokratien – gelähmt durch extreme Parteilichkeit, behindert durch Korruption, niedergedrückt durch extreme Ungleichheit – fällt es zunehmend schwer, die Erwartungen der Menschen zu erfüllen. Das Vertrauen in demokratische Institutionen ist erschüttert.“ Biden beschrieb damit durchaus selbstkritisch auch sein eigenes Land.
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