Der Tag nach der Wahl. In der US-Hauptstadt Washington kommt abends eine Familie am Esstisch zusammen. Der Achtjährige erklärt seiner Mutter und seinen beiden Schwestern, sie hätten ein echtes Problem: „Als Frau könnt ihr ja nicht mal Präsident werden.“
Szenen wie diese spielen sich gerade in zig Haushalten in Amerika ab. Eine liberale Wähler- und Wählerinnengeneration, die Barack Obama zwei Mal ins Weiße Haus verhalf und in seiner Regierungszeit Jobs fand, Häuser kaufte, Familien gründete, hatte ihren Kindern 2016 einen sehr hässlichen Wahlkampf zu erklären. Sie tat das mit einem Ausblick aufs Happy End: „… und schließlich wird der böse Donald bestraft, und Hillary wird die mächtigste Frau im ganzen Land.“
Jetzt zeigt sich: Das war eben nur ein Märchen, und deshalb lautete die drängendste Frage vieler Eltern in der Wahlnacht: „Wie bringe ich das meinen Kindern bei?“.
Frau mit ihren Kindern beim Wählen
„Wir müssen den Mädchen die Wahrheit sagen“, schreibt der Autor Dan Kois, Vater zweier Töchter, „auch wenn die beängstigend und traurig ist: Dass die eine Hälfte Amerikas einen Mann gewählt hat, für den nur zählt, wie fuckable sie eines Tages sein werden (Obwohl: Das Wort „fuckable“ benutze ich wahrscheinlich nicht).“
Genauso ratlos und frustriert sind junge Frauen, die sich für Hillary Clinton engagierten. Eine von ihnen ist die Schauspielerin Jennifer Lawrence.
„Ist das die bittere Realität?“, fragt Lawrence. „Egal, wie qualifiziert du bist, unterm Strich bist du eben einfach kein Mann? Egal, wie hart du arbeitest, am Ende ist da immer die gläserne Decke?“
Die Feministin Lindy West zog ein vernichtendes Fazit aus Clintons Niederlage. Ihr zeige der Ausgang der Wahl, schreibt West, dass „wir“, die westliche Kultur, Frauen grundsätzlich nicht ernst nähmen: „Wir glauben Frauen nicht. Wir trauen Frauen nicht. Wir mögen Frauen nicht.“
Jennifer Lawrence
Was beide Autorinnen verbittern dürfte, ist, dass ausgerechnet Frauen bei dieser Wahl nicht geliefert haben: Clinton hat deutlich weniger Wählerinnen überzeugt als Barack Obama vor vier Jahren. Mehr weiße Wählerinnen ohne höhere Bildung wollten Trump statt Clinton.
Ähnlich wie es Hillary Clinton in ihrer Rede am Mittwochmorgen tat, ermutigen Lawrence und West ihre Leser dazu, sich jetzt nicht allein auf Politiker zu verlassen, sondern selbst die Werte einer freiheitlichen Gesellschaft zu verteidigen, Zivilcourage zu zeigen: „Wir müssen jetzt Abtreibungspillen bunkern, unsere Nachbarn beschützen, unsere Kinder unterrichten“, schreibt West. Und, gemünzt auf die nächsten Wahlen: „Wir müssen die richtige Frau finden.“
Das ist vielleicht gar nicht so schwer: Als neue Hoffnungsträgerin der Demokratischen Partei, deren Anführer in Washington alle im Rentenalter sind, schiebt sich Kamala Harris ins Bild. Die 52-jährige Juristin aus Kalifornien hat einen Senatssitz gewonnen. Sie hielt eine kämpferische Dankesrede, in der sie ihre Themen skizzierte: Schutz von Minderheiten, von illegalen Immigranten, Umweltschutz. „Jetzt erst recht“, beteuerte Harris. Sie ist, so unglaublich das klingen mag, erst die zweite schwarze Frau im US-Senat.
Auch die erste Latina wurde am Dienstag in den Senat gewählt, ebenfalls eine Demokratin, Catherine Cortez Masto aus Nevada.
Kamala Harris
Signale, die die Enttäuschten jetzt dringend brauchen. In Washington sind Weißes Haus und Kongress in der Hand von Republikanern, der Supreme Court könnte womöglich auf Jahrzehnte hinaus mit mehrheitlich konservativen Richtern besetzt werden.
Auch die erzkonservative Tea-Party-Matadorin Sarah Palin ist übrigens wieder aufgetaucht. Sie hofft nun, für ihre früh zur Schau gestellte Trump-Begeisterung mit einem Kabinettsposten belohnt zu werden.
Was den Schmerz über die Wahlniederlage bei vielen liberalen Frauen noch verstärkt: Von der ganz großen Bühne verabschiedet sich nicht nur ihre Kandidatin Hillary Clinton, sondern auch ihr Idol Michelle Obama.
Die First Lady hatte am 13. Oktober Trumps Sexismus in einer leidenschaftlichen Rede angeprangert. Sie habe gerade ein Forum mit jungen Frauen im Weißen Haus veranstaltet, sagte Obama damals, „Ich fand es wichtig, sie daran zu erinnern, wie wertvoll und kostbar sie sind. Ich wollte, dass sie verstehen, dass sich jede Gesellschaft daran messen lassen sollte, wie sie Frauen und Mädchen behandelt.“
Hillary Clinton hatte das als First Lady 1995 erstmals so grundsätzlich mit dem berühmten Satz ausgedrückt: „Menschenrechte sind Frauenrechte und Frauenrechte sind Menschenrechte, ein für allemal.“
Die Nachfolgerin der beiden Frauen in diesem Amt ist Melania Trump. Die nächste First Lady hat bereits klargestellt, dass sie diese Position eher dekorativ begreift, mehr „wie Jackie Kennedy“. Sie will sich im Kampf gegen Cybermobbing stark machen, ist aber schon bei Amerikas bekanntestem Cyberrüpel, ihrem Ehemann, gescheitert. „Er hört nicht auf meinen Rat“, sagt sie zur Erklärung und lächelt.
„Wir müssen jetzt nach vorn schauen“, heißt es in einem Post der Facebook-Gruppe Pantsuit Nation, die von einem Hillary-Clinton-Unterstützer-Forum zu einer Trauercommunity wurde. „Nur weil unsere Kandidatin verloren hat, heißt das nicht, dass unsere Stimmen verschwinden. In unserem Land brauchen jetzt viele unsere Unterstützung, mehr denn je.“
Read more on Source