An diesem Abend sollte der türkische Justizminister Bekir Bozday im badischen Gaggenau auftreten. Er sollte bei den in Deutschland lebenden Türken um Zustimmung für eine Verfassungsänderung werben, die die Türkei in ein Präsidialsystem verwandeln soll – ein Machtzuwachs für Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seit dem gescheiterten Putsch mit harter Hand regiert. Die Stadt hat die Veranstaltung nun aber gestoppt. Halle, Zufahrten und Parkplätze reichten für den zu erwartenden Besucherstrom nicht aus, heißt es offiziell zur Begründung.
Andere Termine mit türkischen Politikern fanden in der Vergangenheit jedoch statt – zuletzt der Auftritt von Ministerpräsident Binali Yildirim in Oberhausen. Diskutiert, ja geradezu befürchtet wird daher, dass auch Erdogan selbst einen Auftritt in Deutschland plant, um für das im April anstehende Referendum bei seinen hier lebenden, stimmberechtigten Landsleuten zu werben. Angesichts der Inhaftierungen von Kritikern und Journalisten, der massiven Einschränkung von Demokratie und Meinungsfreiheit seit dem gescheiterten Putsch sowie zuletzt der Verhaftung des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel ist der türkische Präsident derzeit allerdings nicht willkommen. Gibt es überhaupt Möglichkeiten, einen Auftritt von Erdogan in Deutschland zu verhindern?
Jeweilige Stadt könnte Auftritt verbieten
Gaggenau hat es gezeigt: Die Polizeibehörde der jeweiligen Stadt, in der Erdogan auftreten möchte, könnte die aus Gründen der Sicherheit ein Verbot aussprechen. Das Versammlungsgesetz ermöglicht es, eine Demonstration unter bestimmten Umständen zu verbieten: Wenn die Behörden nachweisen, dass von der Versammlung eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr“ für wichtige Rechtsgüter wie etwa Sicherheit oder Schutz des Lebens vorliegt – und dass sie diese Gefahr mit vorhandenen Mitteln nicht unmittelbar abwehren können.
Erdogan-Auftritt wurde schon einmal untersagt
Auf diplomatischer Ebene müssen Besuche ausländischer Staats- und Regierungschefs protokollarisch mit der Bundesregierung abgestimmt werden. Wollen ausländische Staatsoberhäupter in ihrer offiziellen Funktion und auf öffentlichen Veranstaltungen über ihre Politik sprechen, kann dies sehr wohl verboten werden – und Erdogan hat das im vergangenen Sommer auch schon erfahren. Er hatte sich per Video an eine Großdemonstration seiner Anhänger in Köln richten wollen. Dieser Auftritt wurde dem Veranstalter vom Oberverwaltungsgericht Münster untersagt.
Begründet wurde die Entscheidung so: Das prinzipielle Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, die auf der Versammlung auftretenden Redner festzulegen, „ist kein Instrument dafür, ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern ein Forum zu eröffnen, sich auf öffentlichen Versammlungen im Bundesgebiet in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger amtlich zu politischen Fragestellungen zu äußern. Darüber zu entscheiden ist allein Sache der Bundesrepublik Deutschland“. Einen Einspruch der Veranstalter dagegen lehnte das Bundesverfassungsgericht ab.
Berufung auf EuGH-Urteil denkbar
Auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2012 könnte juristische Argumente liefern. Die Bundesregierung könnte sich bei einem Einreiseverbot für Erdogan auf eine höchstrichterliche EuGH-Entscheidung berufen: In dem Fall hatte die Slowakei dem Präsidenten Ungarns, László Sólyom, 2009 die Einreise verweigert, weil er in der slowakischen Stadt Komárno an der Einweihung eines politischen umstrittenen Denkmals teilnehmen wollte. Der EuGH wies dann 2012 Sólyoms Klage gegen dieses Einreiseverbot zurück und verwies auf eine aus dem Völkerrecht folgende Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit für Staatsoberhäupter.
Auftritt als „Privatmann“ kaum zu verhindern
Auch für Präsidenten und Minister ist es möglich, die diplomatischen Hürden eines offiziellen Besuchs zu umgehen. Yildirim hat dies Mitte Februar vorgemacht. Er reiste als „Privatmann“ ein und mietete in Oberhausen eine Halle, um vor tausenden Landsleuten für die umstrittene Verfassungsänderung zu werben. Auch Erdogan könnte seinen möglichen Besuch in Deutschland als privat deklarieren. Einen Auftritt könnte dann wiederum nur die örtliche Polizeibehörde verhindern – und braucht dafür eine Begründung, die auch vor Gericht standhält.
Diplomatische Folgen wären wohl immens
Ein solches Verbot wäre wohl noch die einzige Möglichkeit, die diplomatischen Folgen eines Auftritt-Verbotes für Erdogan möglichst klein zu halten. Erdogan offiziell zur unerwünschten Person zu erklären, wäre dagegen ein nie dagewesener Affront – vor allem gegenüber einem Präsidenten eines Nato-Mitglieds, also eines Verbündeten. Es ist kaum anzunehmen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen Weg gehen würde – zumal sie damit den Flüchtlingsdeal mit der Türkei, der die Flüchtlingskrise hierzulande spürbar eingedämmt hat, aufs Spiel setzen würde.
Zudem stecken Merkel und ihre Kabinettsmitglieder in dem moralischen Dilemma, Erdogan nicht gleichzeitig massive Einschränkungen der Meinungsfreiheit vorwerfen zu können und ihn dann nicht reden zu lassen. Fast schon beschwörend klang daher Regierungssprecher Steffen Seibert, als er unlängst erklärte, über konkrete Besuchspläne Erdogans sei bisher nichts bekannt. Soll zwischen den Zeilen wohl heißen: Dabei möge es bitte auch bleiben. Es wird sich zeigen, ob Erdogan den diplomatischen Wink verstehen will.
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