Warum hat Donald Trump trotz zahlreicher Anklagen so viel Rückhalt? Eine Spurensuche in Myrtle Beach, einem scheinbar vollkommen unpolitischen Ort. Bastian Brauns berichtet aus Myrtle Beach, South Carolina“Sind dir die Titten nicht aufgefallen?“, fragt Dennis und zeigt zu der riesigen leuchtenden Eule auf dem Dach. Ich schaue genauer hin und studiere noch einmal das Logo einer legendären US-Fast-Food-Kette, die es im politisch korrekten Washington nicht gibt.Stimmt, die Augen der „Hooters“-Eule wirken wie ein ziemlich praller Busen. „In der Mitte, die weißen Kreise, das sind die Nippel“, erklärt Dennis noch. Alles Teil des expliziten Geschäftsmodells. Der Name ist Programm. Die Doppeldeutigkeit von „Hooters“ meint den Ruf einer Eule, bezeichnet im Amerikanischen aber auch die Brüste einer Frau. Im Deutschen würde man wohl Hupen sagen.Wir stehen hier wenige Hundert Meter vom Atlantik entfernt, mitten in Myrtle Beach im Bundesstaat South Carolina. Die aufgeregten Debatten um Donald Trump, seine vielen Anklagen und sein möglicher Wiedereinzug ins Weiße Haus 2024 sind hier nicht gefragt. Gelegen zwischen Ocean City weiter nördlich, Palm Beach und Miami Beach weiter südlich, ist Myrtle Beach einer der beliebtesten Strandorte an der Ostküste. In die Schlagzeilen geriet die Stadt zuletzt, als im Februar der mutmaßliche chinesische Spionageballon über dem Meer abgeschossen wurde. Damals bargen Beamte des FBI die Trümmer am Strand.Symbol für die „gute alte Zeit“In diesen Tagen, zwischen Trumps dritter und wahrscheinlich bald vierter Anklage, gibt es ansonsten aber wohl kaum einen Ort in den USA, der unpolitischer wirkt. Amerikaner wollen hier nicht nachdenken, sondern sich vergnügen. Dabei ist die Wahlbeteiligung hier im Vergleich zum Rest des Landes überdurchschnittlich hoch. Zumindest die Touristen aber suchen hier nach der guten alten Zeit. Als „Hooters“ gegründet und Sexismus noch nicht Sexismus genannt werden musste. Das war 1983. Der offensichtliche Reiz von Myrtle Beach: Wie im Rest von South Carolina laufen die Uhren noch ein bisschen langsamer. Schwule Pärchen lassen sich hier kaum blicken. Noch immer bekämpfen Politiker die gleichgeschlechtliche Ehe und wollen die Zeit am liebsten zurückdrehen. Nur der berühmteste, älteste und größte Souvenirshop der Stadt heißt „Gay Dolphin“. Eröffnet 1946. Damals hieß „gay“ einfach nur fröhlich.Der fleischgewordene Gegenentwurf zu WashingtonDennis und ich haben Hunger und betreten das „Hooters“. Drinnen mampfen Menschen Burger mit Chickenwings. Frittierte Essiggurken dippen sie in einen Pott Sour Cream. Die Kundschaft hier ist weißer und schwerer als in der rund 1.000 Kilometer entfernten Hauptstadt. Dort kostet ein Wellness-Smoothie mit Antioxidantien und Matcha-Pulver rund 20 Dollar. Auf dem „Home Run Burger“ im „Hooters“ in Myrtle Beach liegen vier Lagen Fleisch, dazu gibt es Pommes für insgesamt nicht einmal 17 Dollar.Schlank müssen bei „Hooters“ nur die Bedienungen sein. Das Anforderungsprofil: durchtrainiert und betont jung, im Cheerleader-Alter. Sie tragen knallenge Tops und orangefarbene Höschen. Beim Laufen rutschen sie zwischen ihre Pobacken.Trotzdem gibt es Etikette in diesem Etablissement. Gäste, die ohne T-Shirt oder Schuhe auftauchen, werden ausdrücklich nicht bedient, wie auf einem Schild zu lesen ist. Im Gegenzug: großartiger Service der knapp bekleideten „Hooter Girls“. Das bekannteste „Hooter Girl“ ist Lynne Austin (mittlerweile 62). 1986 schaffte sie es auf die Titelseite des Playboys. Heute betreibt die Kette mehr als 480 Restaurants weltweit, die meisten in Texas. Der fleischgewordene Gegenentwurf zu Washington.Die Frau, die uns den Weg zu unserem Platz gezeigt hat, verabschiedet sich mit einem „Welcome, Hon“, eine Kurzform von „Honey“, die hier im Süden für Schätzchen verwendet wird. Dennis sagt, ich solle die berühmten „Hooters Original Style Wings“ bestellen, dazu Sriracha-Sauce und Gitterpommes. Aber noch bevor das Geflügel kommt, haben die frittierten Essiggurken mit Sour Cream meinen Magen gefüllt. Myrtle Beach, worauf habe ich mich da nur eingelassen? Ein Ferienort, der wächst und wächstEinfach mal loslassen und Amerika fernab des politischen Betriebs verstehen. Mit seinen mehr als 50 Minigolfplätzen ist der Strandort in South Carolina die „Putt-Putt“-Hauptstadt der Nation. Es sind Minigolfplätze, die nichts mit jenen in Deutschland zu tun haben. Eine Landschaft als Südseeinsel, eine mit Dinosauriern, eine mit Piraten. Der von künstlichen Felsen herabstürzende Wasserfall ist blau eingefärbt. Es soll schließlich authentisch wirken.Das SkyWheel am Strand ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber nach wie vor das neuntgrößte Riesenrad im Land. Es gibt Aquarien, Freizeitparks, Restaurants und zahlreiche Läden der Billigkette „Dollar Tree“. Dazwischen fast nur Souvenir- und Candy-Shops, Spielhallen und mehrere Filialen von „Waffle House“. Statt einer geräumigen Lobby haben die Hotels am Strand hier oft installierte Wasserrutschen in ihren Erdgeschossen.Am kilometerlangen „Grand Strand“ geht es strenger zu als im „Hooters“. Hier herrscht explizites Tanga-Verbot. Das mit dem Sex darf nicht übertrieben werden. Myrtle Beach ist ein Familienort. Außer zur Spring Break, dann fallen die College-Studenten ein. Die Regeln der Stadt lauten darum: „‚Thong‘ style bathing suits are not allowed on the beach or in public. G-strings, T-Backs, ‚dental floss‘ style, and thongs are prohibited in public.“ Übersetzt: Zu freizügige Outfits sind verboten. Wer gegen diese Verordnungen verstößt, muss mit Geldbußen von bis zu 500 US-Dollar und mit Gefängnisstrafen von bis zu 30 Tagen rechnen. Politische Korrektheit im Südstaaten-Modus.Die Alltagsprobleme fernab von WashingtonDas Lebensgefühl von Myrtle Beach liegt voll im Trend. Immer mehr Amerikaner zieht es hierher in den Süden. 2022 galt die Stadt und ihr Umland als die mit am schnellsten wachsende Region in den USA. Lebten hier 2010 noch rund 370.000 Menschen, waren es 2020 bereits mehr als 550.000. Tendenz weiter steigend.Wer sich hier fortbewegen will, ist entweder mit dem Auto angereist oder schnappt sich einen Uber oder ein Fahrzeug des Wettbewerbers Lyft. Auch für kurze Wege, versteht sich. Fahrräder, Fehlanzeige. An den Namen der Taxifahrer lässt sich ebenfalls erkennen: South Carolina ist das Gegenteil von Washington, New York oder Los Angeles. In den großen Küstenstädten sind Uber und Lyft oft der Dritt- oder Viertjob für Menschen aus Äthiopien, Afghanistan und auch für viele schwarze Amerikaner. In Myrtle Beach heißen die Billig-Chauffeure hingegen Larry, Gilbert oder Fred. Weiße Männer um die 70, die ihre Rente aufbessern müssen.Als ich bei Gilbert einsteige, um zum Aquarium mit den Haien, Rochen und Pinguinen zu kommen, entschuldigt er sich. „Ich muss noch kurz dieses Telefonat mit meiner Bank beenden“, sagt er. „Kein Problem“, sage ich. Er bittet die Frau von der Bank um Hilfe. Helfen kann sie aber nicht. „Kann ich Ihnen sonst noch weiterhelfen?“, spult sie ihren gelernt freundlichen Service-Satz herunter. Gilbert seufzt: „Nein, können Sie nicht.“ Er solle noch einen großartigen Tag haben, wünscht ihm die Frau und legt auf.Gilbert fährt los und hat gerade viel Geld verloren. Auf der Suche nach einer Servicenummer von Apple geriet er vor wenigen Stunden offenbar in den Google-Ergebnissen an eine Telefonnummer von Betrügern. „Der Mann hatte einen indischen Akzent“, sagt Gilbert. Mehr als eine Stunde lang habe er mit ihm telefoniert und ihm auf Verlangen alle möglichen Daten mitgeteilt. Als Gilbert auflegte, war seine Kreditkarte um 5.000 Dollar ärmer. „Ich hätte das doch merken müssen“, sagt er und versucht, nicht verzweifelt zu wirken. Derlei Probleme der Menschen von Myrtle Beach überwiegen die große Politik im weit entfernten District of Columbia. Die Gerichtsverfahren lassen die Leute hier kalt. Angesprochen auf den Prozess gegen Donald Trump sagt ein Mann am Strand: „Der andere ist doch auch nicht besser.“ Er meint den amtierenden Präsidenten Joe Biden.Das weiß auch Donald Trump. 150 Meilen (ca. 241 km) von der Küste spricht er an diesem Tag in South Carolina in der Stadt Columbia bei der „Silver Elephant Gala“ der republikanischen Partei. Minutenlang ereifert er sich über Umweltschutzregularien aus Washington, die in Wahrheit nur das Leben der Menschen erschweren würden.Das fange schon bei den „kleinen Dingen“ an, sagt Trump. Zum Haarewaschen benötige man heute nämlich zehn Minuten, weil in modernen Wasserhähnen sparsame Strahlregler eingesetzt werden müssten. „Ich habe die alle herausgerissen“, witzelt er. Der Saal lacht. Trump triumphiert als Entertainer. Praktische Beispiele, über die sich jeder schon mal geärgert hat. Verkaufsschlager Donald TrumpAuf dem Highway nach Myrtle Beach hat Richard Kligman einen Weg gefunden, aus Trump Geld zu machen. Innerhalb seines Ladens für Lenkdrachen hat er 2022 sein Segment politisch extrem erweitert und noch einen großen „Trump-Store“ eröffnet. Er selbst stammt aus Washington und gibt an, 2020 für den demokratischen Senatskandidaten für South Carolina gestimmt zu haben.Seit er begonnen habe, Trump-Fahnen in seinem Schaufenster zu platzieren, hätten ihm die Leute die Dinger förmlich aus der Hand gerissen. Sein Geschäft mit dem Ex-Präsidenten als Wackelkopf und Flaschenöffner, auf Strandtüchern, Stickern und Kugelschreibern läuft seither Bombe. In Interviews sagt Kligman: „Die Nachfrage nach Trump-Produkten hier unten im Süden ist überwältigend.“ In seinem dazugehörigen Onlineshop verkauft er auch eine Fake-Kreditkarte. Auf der steht: „White Privilege“. Ein Spaß für Weiße.Hohe Wahlbeteiligung und viele Stimmen für die RepublikanerSo unpolitisch der Ferienort Myrtle Beach mit seinen jährlich rund 20 Millionen Touristen auf den ersten Blick wirken mag: Die Wahlbeteiligung lag in diesem Wahlkreis bei den Präsidentschaftswahlen 2020 mit 71,7 Prozent fast 10 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt. Bei Trumps zweiter Kandidatur wählten ihn hier deutliche 66 Prozent. Das waren zwar 4 Prozentpunkte weniger als 2016. Trump bleibt hier stabil. Dass sich daran 2024 etwas Nennenswertes ändert, gilt laut Umfragen als unwahrscheinlich. South Carolina ist MAGA-Land. Zwar treten mit Nikki Haley und Tim Scott bei den parteiinternen Vorwahlen sogar zwei Republikaner aus South Carolina gegen Donald Trump an. Sowohl die ehemalige Gouverneurin als auch der US-Senator sollen mit ihrer Kandidatur aber vor allem auf den Vizeposten eines erneuten Präsidenten Trump spekulieren.In Myrtle Beach wird es wieder Nacht. Die Fahrgeschäfte der Freizeitparks blinken. An einem Stand kann man sich mit Maschinengewehren Stofftiere schießen. Geruch von Zuckerwatte und Maiskolben mit Butter.Ein paar Meter weiter laufen tatsächlich zwei Männer Händchen haltend an einem Lokal mit dem Namen „Captain Benjamin’s“ vorbei. Drinnen gibt es „All you can eat“-Seafood-Buffet für rund 30 Dollar. Draußen vor dem Eingang steht ein dicklicher, blonder Junge im Grundschulalter und starrt die beiden an. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, das zu den Verkaufsschlagern im Ferienparadies von South Carolina gehört. „I Love Hot Moms“ (Ich liebe heiße Mütter) ist darauf zu lesen. In Washington trägt man „Black Lives Matter“ (Schwarze Leben zählen).

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