Kabul/Doha/Washington (dpa) – Das Abkommen zwischen den USA und den afghanischen Taliban stößt schon einen Tag nach der Unterzeichnung auf erste Hürden.
Der afghanische Präsident Aschraf Ghani wehrte sich am Sonntag in Kabul gegen die in der Vereinbarung verabredete Freilassung von bis zu 5000 Taliban-Kämpfern. Diese Entscheidung stehe nicht den USA, sondern seiner Regierung zu, sagte er. Vertreter der USA und der Taliban hatten am Samstag in Doha im Golfemirat Katar das Abkommen unterzeichnet, das den Weg zum Frieden und einem Ende des US-geführten Militäreinsatzes in Afghanistan ebnen soll.
Die ausländischen Truppen in Afghanistan sollen nach dem Abkommen der USA mit den Taliban bis Ende April kommenden Jahres vollständig abgezogen werden – wenn die Vereinbarung nicht scheitert. Auch für die Bundeswehr würde damit nach dann mehr als 19 Jahren der Einsatz am Hindukusch enden. Damit wäre eine Kernforderung der Taliban erfüllt, die den Abzug der ausländischen „Invasoren“ verlangen. Taliban-Chef Haibatullah Achundsada nannte das Abkommen „eine großartige Errungenschaft“ und sprach von einem „großen Sieg“.
Die Taliban verpflichten sich in dem Abkommen unter anderem dazu, dass von Afghanistan keine Terrorbedrohung gegen die USA und ihre Verbündeten ausgeht. Der wichtigste Teil des Abkommens ist aber, dass die Taliban Verhandlungen mit der afghanischen Regierung zusagen – das wären die eigentlichen Friedensgespräche.
Bisher hatten sich die Taliban geweigert, direkt mit Kabul zu sprechen, weil sie die Regierung für eine Marionette des Westens halten. Die Gespräche sollen der Vereinbarung zufolge zu einem dauerhaften Waffenstillstand und einem politischen Fahrplan für die Zukunft Afghanistans führen.
Die USA sichern zu, die Zahl ihrer Soldaten binnen 135 Tagen von rund 13.000 auf 8600 zu verringern. Die Zahl der internationalen Truppen soll proportional sinken. Fünf Basen sollen in diesem Zeitraum geschlossen werden. Sollte das Abkommen halten, sollen innerhalb von 14 Monaten – also bis Ende April kommenden Jahres – alle ausländischen Truppen abziehen. Deutschland ist mit rund 1200 Soldaten am Nato-Ausbildungseinsatz in Afghanistan beteiligt.
Die Verhandlungen sollen bereits am 10. März starten. Nach Angaben aus der US-Regierung sollen sie in der norwegischen Hauptstadt Oslo stattfinden. Ghani sagte am Sonntag: Die Freilassung von Taliban-Gefangenen kann Teil der Tagesordnung der Verhandlungen sein, aber keine Vorbedingung für den Beginn von Verhandlungen. In dem Abkommen ist die Freilassung allerdings eine Vorbedingung. Auch Taliban-Chefunterhändler Scher Mohammed Abbas Staneksai hatte dem Sender Tolo TV nach der Unterzeichnung des Abkommens gesagt, die Freilassung der Gefangenen vor etwaigen Gesprächen sei ein Muss.
Aus US-Regierungskreisen hieß es, Teile des Abkommens blieben geheim. US-Präsident Donald Trump sagte am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Washington, der Truppenabzug werde sofort beginnen. Sollten die Taliban sich allerdings nicht an ihre Zusagen halten, würden die USA „mit einer Macht zurückkehren, wie sie noch nie jemand gesehen hat“. Er kündigte auch ein persönliches Treffen mit Taliban-Anführern „in nicht allzu ferner Zukunft“ an.
Bei den innerafghanischen Gesprächen soll es unter anderem darum gehen, wie künftig die politische Macht verteilt ist – wie also die Taliban politisch eingegliedert werden. Das beinhaltet eine ganze Serie von kontrovers diskutierten Punkten: von der Form eines möglichen zukünftigen Staates bis hin zum Wert von Menschenrechten.
Unterschiedliche Ansichten gibt es auch zur Fortsetzung einer Phase reduzierter Gewalt in Afghanistan, die eine Vorbedingung für die Unterzeichnung des Abkommens gewesen war. Ghani sagte am Sonntag, sie gelte weiter. Das US-Militär habe ihm zugesagt, dass Zuwiderhandlungen einen Bruch des Abkommens bedeuteten.
Ein Talibansprecher sagte der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag aber, die Phase sei zu Ende. Taliban-Unterhändler Staneksai hatte am Vortag bei Tolo TV erklärt, dass die Taliban US-Truppen dem Abkommen folgend nicht angreifen würden. „Aber wenn es um den Krieg zwischen den Taliban und den Kabul-Regierungstruppen geht, dann braucht es ein neues Abkommen, das in den innerafghanischen Gesprächen diskutiert wird.“ Am Sonntag bleib es zunächst ruhig.
US-Außenminister Mike Pompeo war für die Unterzeichnungszeremonie nach Doha gereist. Er sagte: „Die Taliban haben sich nun verpflichtet, mit Al-Kaida zu brechen. Das ist historisch.“ Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte in Kabul: „Das ist ein Sieg für Frieden und ein Sieg für das afghanische Volk.“ Bundesaußenminister Heiko Maas teilte mit, entscheidend sei, dass die Taliban die Gewalt weiter reduzierten. Das Abkommen sei „eine lang ersehnte Chance auf einen Friedensprozess“. Deutschland sei bereit, einen solchen innerafghanischen Prozess maßgeblich zu unterstützen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte, dass die innerafghanischen Gespräche „ohne Verzögerungen beginnen, in einer inklusiven Weise ablaufen und auf einen dauerhaften Frieden abzielen (…)“. Der Konflikt brauche eine politische Lösung, die Menschenrechte – Frauenrechte eingeschlossen – respektiere und allgemeine Missstände anspreche.
Von der afghanischen Bevölkerung selbst wurde das Abkommen mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Vor allem Frauen sorgten sich um ihre Rechte, sollten die Taliban mit dem Abkommen an die Macht zurückkehren. Während der Taliban-Regierung von 1996 bis 2001 hatten die mit großer Brutalität regiert. Die Meinungsfreiheit war stark eingeschränkt und Frauen waren vom öffentlichen Leben ausgeschlossen.
Auslöser des US-geführten Militäreinsatzes in Afghanistan waren die Anschläge vom 11. September 2001. Die USA machten Al-Kaida-Chef Osama bin Laden dafür verantwortlich. Das Taliban-Regime weigerte sich danach, Bin Laden auszuliefern. Nach dem Einmarsch der US-geführten Truppen stürzte das Regime Ende 2001. Inzwischen kontrollieren die militanten Islamisten aber wieder weite Teile des Landes. Den letzten verfügbaren US-Militärangaben von Oktober 2018 zufolge beherrschte die Regierung nur noch wenig mehr als die Hälfte der Bezirke des Landes. Weitere rund 30 Prozent sind umkämpft.
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