IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi wurde schon mehrfach totgesagt. Zuletzt hatte die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna Ende Juni 2017 den Repräsentanten der iranischen Revolutionsgarden, Ali Shirazi, mit den Worten zitiert: „Der Terrorist Bagdadi ist definitiv tot.“ Zwei Wochen zuvor hatte das russische Verteidigungsministerium mitgeteilt, dass der Anführer des sogenannten Islamischen Staates möglicherweise Ende Mai bei einem Luftangriff in Syrien getötet worden sei. Wenige Tage später erklärte der russische Senator Viktor Oserow in Moskau, diese Information sei fast zu 100 Prozent sicher. Und auch der Ex-Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Nikolai Kowaljow, meinte, er glaube an die Seriosität der Quellen des Militärs.

Doch jetzt hat der angeblich Tote ein Lebenszeichen geschickt. Haben sich all die Quellen also geirrt? Es scheint so, denn vieles spricht dafür, dass in dem am Montag vom IS präsentierten Video tatsächlich Abu Bakr al-Bagdadi zu sehen ist. Und dass die Aufnahme vor nicht allzu langer Zeit gemacht wurde.

Das spricht für die Echtheit des Videos und dass es wirklich Abu Bakr al-Bagdadi zeigt:

  • Der 18 Minuten und 22 Sekunden lange Film wurde von al-Furquan-Media unter anderem über den Messengerdienst Telegram veröffentlicht. Al-Furquan ist ein seit Jahren bekannter Medienkanal des IS und die Verbreitung von Audio- oder Videobotschaften via Telegram die übliche Vorgehensweise der Terrogruppe.

  • Der angebliche al-Bagdadi in dem Film hat eine frappierende Ähnlichkeit mit dem al-Bagdadi, der auf den wenigen zur Verfügung stehenden Fotografien und dem Video seines letzten öffentlichen Auftritts vor fünf Jahren in Mossul zu sehen ist. Zwar wirkt der Iraker auf den neuen Aufnahmen im Vergleich zu 2014 fülliger und vor allem deutlich gealtert, das erscheint nach fünf Jahren im Untergrund mit Krieg, Flucht und möglicherweise auch Verwundungen aber durchaus plausibel.

  • Der Film-Bagdadi erwähnt mehrere Ereignisse aus den letzten Wochen, darunter die Terroranschläge in Sri Lanka am 21. April, den Sieg von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei der Wahl Anfang des Monats in Israel sowie den Sturz der Machthaber Abdelaziz Bouteflika in Algerien am 2. April und Omar al-Baschir im Sudan am 11. April. Zudem sagt er über den monatelangen Kampf um den letzten Rückzugsort des IS in Syrien, der im März fiel: „Der Kampf um Baghus ist vorbei. In dem Teil über Sri Lanka ist allerdings nur die Stimme des mutmaßlichen al-Bagdadi zu hören, er selbst aber nicht zu sehen. Das könnte dafür sprechen, dass die Passage erst nach der eigentlichen Videoaufnahme hinzugefügt wurde.

  • Die Site Intelligence Group hält das Video für echt. Site ist ein kommerzielles, auf die Überwachung islamistischer Webseiten spezialisiertes US-Unternehmen, das auch die amerikanische Regierung berät und als gewöhnlich sehr gut informiert und glaubwürdig gilt. Nach Angaben der Gruppe hatte der IS vor Veröffentlichung des Videos reihenweise neue Social-Media-Accounts und Telegram-Kanäle erstellt. Das Ausmaß habe vorangegangene Veröffentlichungen deutlich überstiegen, was den besonderen Stellenwert der Propagandaaktion zeigt. Al-Baghdadi geht am Ende des Videos mehrere dünne Din-A4-Mappen durch, bei denen es sich laut Site um Berichte über die monatlichen Aktivitäten des IS handelt. Auf den Covern steht demnach „Zentralafrikanische Provinz“, die am 18 April ausgerufen wurde, und „Türkische Provinz“, deren Ausrufung noch ausstehe.

  • Laut der Nachrichtenagentur AFP hat auch der irakische IS-Experte Hischam al-Haschemi den 47 Jahre alten Bagdadi in dem Video identifiziert. Der Forscher berät unter anderem die Regierung in Bagdad bei der Terrorbekämpfung.

Nach Ansicht der Site Intelligence Group bietet das neue Video durchaus Anlass zur Sorge: „Es stellt eine ernsthafte Gefahr dar, dass Bagdadi, der sogenannte Kalif des IS, nicht nur noch am Leben ist, sondern dass er auch in der Lage ist, vor seinen Anhängern wieder in Erscheinung zu treten und die „Wir gegen die Welt“-Botschaft der Gruppe zu bekräftigen, nach all den Fortschritten die gegen die Gruppe gemacht wurden“, kommentierte Unternehmenschefin Rita Katz den Propagandafilm auf Twitter.Site Rita Katz Bagdadi Tweet

Al-Bagdadi rief 2014 das „IS-Kalifat“ aus

Irakischen Regierungsangaben zufolge wurde al-Bagdadi 1971 in Samarra, nördlich von Bagdad geboren. Laut einem irakischen Geheimdienstbericht hat er einen Doktor in Islamstudien und war Professor an der Universität von Tikrit. Offenbar schloss er sich nach der US-Invasion im Irak im Jahr 2003 den Aufständischen an und verbrachte einige Zeit in einem US-Militärgefängnis.

IS-Kämpfer Heftstück_13.30UhrIm Juni 2014, kurz nach der Eroberung Mossuls durch den IS, rief Bagdadi dort bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte das mittlerweile untergegangene „Kalifat“ des IS in Teilen des Irak und Syriens aus. In dem Video ist ein Mann mit schwarzgrauem Bart, schwarzem Mantel und schwarzem Turban zu sehen.

Al-Bagdadi gilt als „unsichtbarer Scheich“, Experten beschreiben ihn wie ein Phantom, weil er sich so gut wie nie öffentlich zeigt. Medienberichten zufolge soll der 47-Jährige an Diabetes leiden. Ob er sich nach der Zerschlagung des „IS-Kalifats“ mit seinen letzten Kämpfern in der syrischen Wüste versteckt hält, im Irak untergetaucht ist oder sich an einem ganz anderen Ort aufhält, ist unklar. Die USA haben auf den Terrorführer ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar (22 Millionen Euro) ausgesetzt.

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