Konkrete Konsequenzen gezogen
Brüssel (dpa) – Die Europäische Union zieht erstmals konkrete Konsequenzen aus den Ereignissen nach dem Putschversuch in der Türkei.
Deutschland und andere Mitgliedstaaten folgten zwar nicht den Forderungen Österreichs und des Europaparlaments, die EU-Beitrittsgespräche mit dem Land einzufrieren. Bei einem Ministertreffen in Brüssel wurde allerdings erstmals offiziell in einer Erklärung der Präsidentschaft festgehalten, dass die Verhandlungen angesichts der aktuellen Verhältnisse in der Türkei nicht weiter ausgeweitet werden.
Bislang hatten lediglich einzelne Mitgliedstaaten zu verstehen gegeben, dass sie derzeit keine neuen Verhandlungskapitel öffnen wollen. Noch im März hatte es in einer Erklärung der EU und der Türkei geheißen: «Die EU und die Türkei bekräftigten ihre Entschlossenheit zur Neubelebung des Beitrittsprozesses.»
Mit dem Ausweitungsstopp für die Türkei-Gespräche reagiert die EU vor allem auf das Vorgehen türkischer Behörden gegen Medien und Oppositionspolitiker. Es sei klar, dass es in Bereichen wie Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit eher Rückschritte als Fortschritte gebe, kommentierte der für Deutschland verhandelnde Staatsminister Michael Roth. «Niemand ist mit den derzeitigen Entwicklungen in der Türkei zufrieden.»
Für einen Eklat sorgte beim Ministertreffen Österreich mit seiner Forderung nach einem Einfrieren der Verhandlungen. Soweit wollten die anderen Länder nicht gehen. Daraufhin blockierte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz letztendlich sogar eine gemeinsame Erklärung aller EU-Staaten.
Kurz machte deutlich, dass er mit seinem Veto auch die Abgeordneten im Europaparlament unterstützen will. Diese hatten sich vor kurzem mit großer Mehrheit für ein Einfrieren der Verhandlungen ausgesprochen. «Ich glaube, dass das Europäische Parlament, das aus den gewählten Vertretern unserer Bevölkerung besteht, durchaus eine gewisse Relevanz haben sollte», kommentierte Kurz.
«Es geht überhaupt nicht darum, Türen zuzuschlagen oder nicht mehr im Gespräch zu bleiben», erklärt er. Es gehe darum, ein politisches Signal zu setzen und der Türkei nicht weiter vorzugaukeln, dass der Beitritt in die EU nahestehe.
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber lobte, der Österreicher habe Rückgrat gezeigt. Nun müssten die Staats- und Regierungschefs Stellung beziehen. Sie treffen sich am Donnerstag zu ihrem Dezembergipfel in Brüssel.
Staatsminister Roth äußerte sich hingegen verärgert. Es sei sehr enttäuschend, dass es in dieser wichtigen Frage keine gemeinsame Positionierung gebe, sagte er. «Wir haben nach Kräften versucht, Österreich aus der Isolation herauszubringen», erklärte er. «Dass es nicht geklappt hat, ist nicht gut.»
Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass ein Einfrieren der Beitrittsgespräche mehr schaden als nützen würde. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier warnte jüngst davor, dass ein solcher Schritt die aktuellen Verhandlungen über ein Ende der Teilung der Insel Zypern gefährden könne. Zudem werden Risiken wegen der Vereinbarungen mit der Türkei zur Flüchtlingskrise sowie der wichtigen Rolle des Landes im Syrien-Konflikt gesehen.
Kurz sieht das häufig vorgebrachte Argument, durch die Beitrittsverhandlungen könne die EU die Türkei in eine positive Richtung entwickeln, spätestens nach den Entwicklungen der vergangenen Monate für widerlegt. «Die Türkei hat sich kontinuierlich immer weiter weg von der Europäischen Union entwickelt», sagte er.
Wie die Türkei auf die neuen Erklärungen aus Brüssel reagiert, blieb zunächst offen. Die EU-Kommission hatte bereits vor dem Ministertreffen versucht, die Bedeutung eines Ausweitungsstopps herunterzuspielen. «Wir haben seit dem versuchten Staatsstreich keine wirklichen Beitrittsverhandlungen. Und ich sehe das auch nicht in den nächsten Monaten», sagte der zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn. Aus seiner Sicht sei die ganze Debatte deswegen «artifiziell».
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagte nach dem EU-Treffen der «Süddeutschen Zeitung», die von der slowakischen EU-Präsidentschaft veröffentlichte Erklärung habe keinen «legalen Wert». Ähnlich hatte sich Kanzlerin Angela Merkel über die von der Türkei scharf kritisierte Armenien-Resolution des Bundestages geäußert. In ihr wurden die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als Völkermord verurteilt.
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