Brüssel – Die EU wird nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow auf ihre Sanktionsliste setzen. Dies bedeutet, dass möglicherweise in der EU vorhandene Vermögenswerte der beiden Politiker eingefroren werden.
Darüber, in wieweit Putin und und Lawrow noch einschränkungslos in die EU einreisen dürfen, gab es am späten Mittag unterschiedliche Angaben. Normalerweise umfassen Listungen auch Einreiseverbote, die nur mit Ausnahmegenehmigungen zum Beispiel für Friedensgespräche aufgehoben würden.
Die Strafmaßnahmen sind Teil eines großen Sanktionspakets, dass im Laufe des Tages in Kraft treten soll. Die Außenminister der 27 EU-Staaten wollen dafür am Nachmittag die notwendigen Rechtstexte annehmen. Auf die Listung von Putin und Lawrow hatten sich nach Angaben von Diplomaten am Donnerstagabend die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten verständigt.
Die Wirtschaftssanktionen betreffen unter anderem die Bereiche Energie, Finanzen und Transport. Zudem soll es Exportkontrollen für bestimmte Produkte sowie Einschränkungen bei der Visapolitik geben.
Swift-Ausschluss noch nicht vorgesehen
Ein Ausschluss Russlands aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift und Ausfuhrverbote für zum Beispiel Erdgas sind zunächst nicht vorgesehen. Es wird allerdings für gut möglich gehalten, dass es zu einem späteren Zeitpunkt noch zu einem Ausschluss aus Swift kommt und dass Russland selbst die Versorgung der EU mit Erdgas einstellt. Bislang liefert der russische Staatskonzern Gazprom nach Angaben der EU-Kommission rund 40 Prozent der in der EU verbrauchten Gasmenge.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beschwor in der Nacht zu Freitag nach den rund sechstündigen Beratungen, zu denen auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet wurde, die Einheit der EU. „Unsere Einigkeit ist unsere Stärke“, sagte sie. Der russische Präsident Wladimir Putin versuche die Landkarte Europas neu zu zeichnen. „Er muss und er wird scheitern.“
Uneinigkeit bei Swift
So einig, wie von der Leyen es beschrieb, waren sich die Staats- und Regierungschefs aber nicht. Mehrere von ihnen hatte vor Beginn des Sondergipfels noch weitreichendere Maßnahmen wie den Swift-Ausschluss gefordert.
Zu den Ländern, die dieses Sanktionsinstrument zum derzeitigen Zeitpunkt ablehnen, gehört auch Deutschland. Scholz begründete diese Haltung in Brüssel mit strategischen Erwägungen. Man solle zunächst bei dem über die vergangenen Wochen vorbereiteten Sanktionspaket bleiben, sagte er. Alles andere müsse man sich „aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun“. Was das für eine Situation sein könnte, sagte Scholz allerdings nicht.
Einem EU-Diplomaten zufolge stimmten Italien, Zypern und Ungarn mit Deutschland darüber ein, dass für den Swift-Ausschluss nicht der richtige Zeitpunkt sei.
Baerbock: Sanktionen werden Russland ruinieren
Außenministerin Annalena Baerbock verteidigt die deutsche Zurückhaltung bei Forderungen nach einem Swift-Ausschluss Russlands. Eine Entkopplung Russlands vom Swift-System wirke anders als die Sanktionierung einzelner Banken in die Breite, sagte die Grünen-Politikerin am Freitag beim Eintreffen zu einer Sondersitzung der EU-Außenminister in Brüssel.
Dies habe etwa im Iran dazu geführt, dass humanitäre Projekte nicht mehr finanziert werden konnten, sagte Baerbock. Zudem könne dann etwa eine in Europa lebende Enkelin ihrer Großmutter in Russland kein Geld mehr überweisen. Aber jene, die für das Blutvergießen verantwortlich seien, würden dennoch Wege für ihre Finanztransaktionen finden.
Über das EU-Paket an Wirtschafts- und Finanzsanktionspaket gegen Russland sagte Baerbock: „Das wird Russland ruinieren.“ Mit Putin und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow würden zudem auch jene mit klaren Sanktionen belegt, „die für diese Furchtbarkeit an den Menschen in der Ukraine“ verantwortlich seien.
Nach Ansicht von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) haben die bisher beschlossenen EU-Sanktionen den russischen Finanzsektor auch ohne den Ausschluss vom Zahlungssystem Swift isoliert. „Alle Optionen liegen auf dem Tisch, aber wir haben bereits eine vollständige Blockade russischer Banken“, sagte Lindner vor einem Treffen mit den anderen Finanz- und Wirtschaftsministern der EU in Paris. „Damit ist der Geschäftsverkehr mit Russland bereits nahezu beendet.“ Im Einzelfall seien Transaktionen noch möglich, etwa um Gaslieferungen zu bezahlen, oder damit deutsche Unternehmen Geld an ihre Tochterfirmen in Russland überweisen könnten.
Johnson: Weitere Sanktionen notwendig
Der britische Premierminister Boris Johnson betont derweil die Notwendigkeit weiterer scharfer Sanktionen gegen Moskau. Er sei sich mit seinen Amtskollegen aus dem Baltikum und Skandinavien einig, dass „weitere Sanktionen notwendig sind, auch solche, die sich auf Putins innersten Kreis konzentrieren“, sagte Johnson nach einem Austausch mit mehreren anderen Regierungschefinnen und -chefs einer Mitteilung zufolge.
Außerdem betonte der konservative Politiker, es sei dringend notwendig, die Ukraine stärker zu unterstützen. Putins Handeln dürfe niemals normalisiert oder seine Aggressionen gegen die Ukraine als vollendete Tatsache hingenommen werden.
Tusk übt heftige Kritik an Deutschlands Haltung
Der polnische Oppositionsführer und frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk hat heftige Kritik an der deutschen Haltung zu Sanktionen gegen Russland geübt. „Diejenigen EU-Regierungen, die harte Entscheidungen blockiert haben, haben Schande über sich selbst gebracht“, schrieb Tusk am Freitag auf Twitter. Als Beispiele nannte er Deutschland, Ungarn und Italien.
Die derzeitigen Strafmaßnahmen sind nach Ansicht von Tusk wirkungslos. „In diesem Krieg ist alles real: Putins Wahnsinn und Grausamkeit, ukrainische Opfer, die auf Kiew fallenden Bomben“, kommentierte er. Die Sanktionen würden allerdings nur vorgetäuscht.
Tusk spielte mit den Äußerungen offensichtlich darauf an, dass unter anderen Bundeskanzler Olaf Scholz sich beim EU-Sondergipfel am Donnerstagabend dagegen ausgesprochen hatte, Russland sofort aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift auszuschließen.
Signal aus der Schweiz
Die Schweiz geht nach Kritik an ihren ausbleibenden Sanktionen gegen Russland nun doch einen Schritt weiter. Weiterhin werden keine Konten eingefroren, aber Schweizer Finanzintermediäre, das sind Banken und andere Finanzmakler, dürften nun keine neuen Geschäftsbeziehungen mehr zu Hunderten Personen und Unternehmen eingehen, die auf EU-Sanktionslisten stehen. Dies teilte das Wirtschaftsministerium am Freitag mit. Sie müssen nun auch sämtliche bestehenden Geschäftsbeziehungen mit diesen Personen und Unternehmen melden.
Die Schweiz pocht auf ihre Neutralität. Daraus ergebe sich, dass keine eigenen Sanktionen verhängt werden. Sie tue aber alles, damit Betroffene die Sanktionen nicht über den Umweg Schweiz umgehen. Am Donnerstag hatten Regierungsbeamte erläutert, dass russische Staatsbürger weiter über ihre Gelder auf Schweizer Konten verfügen können. „Die Neutralität dient als Feigenblatt“, kritisierte die „Neue Zürcher Zeitung“. „Die Rückgratlosigkeit wird hinter Floskeln versteckt“, kommentierte ein Journalist auf Twitter.
© dpa-infocom, dpa:220225-99-277509/13
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