Kommentar

Für den Umgang mit Rüpeln oder gar Schlägertypen lautet der Rat der meisten Psychologen: Erst versuchen, in aller Ruhe unter vier Augen mit dem Fiesling zu reden. Bringt das keinen Erfolg, hilft nur noch eins: Widerstand leisten. Und notfalls eben zurückschlagen.

Etwas in der Art hat EU-Ratspräsident Donald Tusk jetzt getan. In einem offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU stellt er das Verhalten von US-Präsident Donald Trump in eine Reihe mit dem teils aggressiv agierenden China, mit Russlands Aggressionspolitik in Osteuropa, mit dem türkischen Autokraten Erdogan und mit dem Terror des „Islamischen Staats“. Tusk deutet gar an, der „Wandel in Washington“ könnte für die EU noch gefährlicher sein als andere Konfliktherde, die kommen und gehen: Die neue US-Regierung scheine „die letzten 70 Jahre amerikanischer Außenpolitik in Frage zu stellen“.

Endlich, könnte man meinen. Endlich traut sich jemand, der noch kein politischer Rentner ist, mit Trump Klartext zu reden. Immerhin hat der US-Präsident den Brexit öffentlich mehrfach gelobt, die EU als Machtinstrument Deutschlands bezeichnet und auf ihren Zerfall gewettet, die Nato „obsolet“ genannt.

Man stelle sich Trumps Reaktion vor, wenn – sagen wir – Kanzlerin Angela Merkel öffentlich den Calexit Kaliforniens (für den derzeit eine Kampagne läuft) oder den Niedergang des Dollars herbeisehnen würde. Doch die Führungskräfte der EU haben auf Trumps offensichtliche Versuche der Spaltung bisher gar nicht oder betont verhalten reagiert.

Schritt zwei: offener Widerstand

Gebracht hat das offenbar wenig – und Tusk scheint nun dem Rat der Psychologen für den nächsten Schritt zu folgen: offener Widerstand. Allerdings geben einem die Experten dafür meist zwei Warnungen mit auf den Weg: Man sollte Verbündete finden, bevor man vor versammelter Mannschaft gegen den Rüpel antritt. Und man sollte sich einigermaßen sicher sein, dass er nicht komplett ausrastet (für den Fall braucht man dann die Verbündeten).

Ob Donald Tusk diese Ratschläge ausreichend beherzigt hat? Dass die EU im Kampf gegen die eigenen Feinde, die Feinde der liberalen Demokratie und des freien Handels, inzwischen recht einsam dasteht, räumt Tusk in seinem Brief selbst ein. Zwar schreibt er, dass Europa einen Isolationismus der Vereinigten Staaten nutzen könne, um Gespräche mit „interessierten Partnern“ – sprich: China – zu intensivieren. Ob Peking dabei aber mitspielen wird, statt das transatlantische Zerwürfnis für den eigenen Aufstieg zu nutzen, ist fraglich.

Noch fraglicher ist, ob die Verbündeten – sollte es sie denn geben – der EU beistehen würden, sollte Trump noch weiter eskalieren. Man kann Europa nur wünschen, dass in diesem Fall wenigstens die Staats- und Regierungschefs der EU Tusk beistehen und nicht das Weite suchen. Denn Tusk hat das Richtige getan.

Wie Trump darauf reagiert, dürfte sich schon sehr bald zeigen. Man darf annehmen, dass Donald Tusk seinen Twitter-Account in diesen Stunden ein wenig öfter prüft als sonst.

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