Berlin – Es sind teils ernüchternde Zahlen: Die überwiegende Mehrheit der Bundesländer hinkt im Frühjahr 2022 meilenweit hinter dem Ziel der Bundesregierung für den Windkraftausbau hinterher. Nach einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur gehen die zurückgemeldeten Werte weit auseinander.
Der Bund will, dass zwei Prozent der Landesfläche für den Bau von Windrädern ausgewiesen werden. An dieses Ziel kommen gerade einmal drei Länder heran. Spitzenreiter ist demnach mit rund zwei Prozent Schleswig-Holstein, gefolgt von Hessen (1,9) und dem Saarland (1,82). Schlusslichter bei den Flächenländern sind Sachsen (0,3 Prozent) und Baden-Württemberg (0,2).
Bei den Stadtstaaten zeigte sich ungeachtet der nicht mit den Flächenländern vergleichbaren Ausgangslage ebenfalls ein großer Unterschied. Während Bremen immerhin auf rund 1,0 Prozent kommt, hat Hamburg nur 0,23 Prozent der Fläche für Windenergie ausgewiesen. Im Flächennutzungsplan des Landes Berlin existieren keine explizit ausgewiesenen Flächen für Windenergie.
Zentrales Ampel-Ziel
Die Mehrheit der Länder dümpelt zwischen den Extremwerten: Darunter Brandenburg (1,4 Prozent), das dicht besiedelte Nordrhein-Westfalen (1,2 Prozent), Sachsen-Anhalt (1,08 Prozent), Rheinland-Pfalz (1,01) und Thüringen (0,4). Interessant: Das wegen seiner strengen 10H-Abstandsregel bundesweit gerne heftig kritisierte und flächenmäßig größte Bundesland Bayern kommt immerhin noch auf 0,69 Prozent. Niedersachsen verwies darauf, dass bis 2030 2,1 Prozent erreicht würden.
Gleichwohl heißt es nicht, dass nur auf den ausgewiesenen Flächen Windräder stehen können oder neu gebaut werden dürfen. In vielen Bundesländern wurde bei der Umfrage darauf verwiesen, dass gerade auch außerhalb der Flächen Windenergie in nennenswerten Mengen erzeugt werde. In Bremen stammen etwa mehr als 40 Prozent der Leistung von Rotoren, die außerhalb von Vorrangflächen stehen. Würde man diese Fläche zu den ausgewiesenen Gebieten hinzurechnen, komme die Hansestadt auf 1,9 Prozent.
Der Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne ist eines der zentralen Ziele der Ampel-Regierung im Bund – um Klimaziele zu erreichen und weniger abhängig von fossilen Energien wie russischem Gas zu werden. Bis 2030 sollen nach Plänen von Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen, bis 2035 sollen es fast 100 Prozent sein. 2021 waren es nach Branchenangaben etwa 42 Prozent.
Als ein gewichtiges Problem für den Ausbau der Windkraft an Land sieht das Bundeswirtschaftsministerium die fehlende Verfügbarkeit von Flächen. Die bisherigen Planungen der Länder reichten bei weitem nicht aus, hieß es im Januar in einer „Eröffnungsbilanz“ Habecks. Bis Ende 2020 seien bundesweit nur etwa 0,8 Prozent der Gesamtfläche ausgewiesen, davon seien tatsächlich jedoch nur etwa 0,5 Prozent für die Nutzung verfügbar – da unter anderem Mindestabstände in etlichen Bundesländern sowie genehmigungsrechtliche Hindernisse das Potenzial deutlich verkleinern. „Um hier voranzukommen, werden wir das Ziel von zwei Prozent der Landesflächen für die Windenergie an Land gesetzlich verankern“, so das Bundesministerium.
Streit zwischen Anwohnern, Umweltschützern und Investoren
Nachdem infolge des Krieges in der Ukraine die Energiepreise seit Wochen massiv ansteigen, haben auch viele Kritiker der Windkraft – etwa aus der Wirtschaft – ihre Meinungen geändert. Der Bau von Windrädern wird aber vielerorts immer wieder durch Proteste und Streit zwischen Anwohnern, Umweltschützern und Investoren ausgebremst.
Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, gibt es daher teils strenge Vorgaben wie Abstandsregeln und andere Auflagen – etwa für den Schattenwurf der Rotoren oder den Schutz von Tieren. Dies hat aber dafür gesorgt, dass der Ausbau in den vergangenen Jahren vielerorts ins Stocken geraten ist.
In Bayern, wo die sogenannte 10H-Regel gar den zehnfachen Abstand der Windradhöhe zur nächsten Bebauung vorgibt, ist er praktisch zum Erliegen gekommen. In der vergangenen Woche kam aber auch hier neue Bewegung in die Debatte: Nachdem die CSU die umstrittene 10H-Regel lange Jahre gegen alle Kritik verteidigte, ist sie nun offen für Aufweichungen. So soll etwa an Autobahnen oder in Gewerbegebieten der Bau deutlich erleichtert werden.
Habeck hatte sich in den vergangenen Wochen immer wieder dafür ausgesprochen, dass der Bau der klimafreundlichen Windräder überall forciert wird. Offen ist, wie genau das Zwei-Prozent-Ziel verankert wird und ob der Bund strenge Abstandsregeln wie in Bayern über ein Bundesgesetz kippt. Erwartet werden auch Regelungen über schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren.
So heißt es vom hessischen Wirtschaftsministerium, Hessen erwarte, dass durch die angekündigten Erleichterungen bei Planung und Genehmigung sogenannte Vorrangflächen schneller mit Windenergieanlagen bebaut werden können.
Diskussion über Energiepreise
Ebenfalls in der Debatte ist ein Verteilungsschlüssel. Ein solcher müsse die unterschiedlichen Möglichkeiten der Länder mit Blick auf die natürlichen Verhältnisse, Windstärken, das Gelände-Relief und insbesondere die Bevölkerungsdichte berücksichtigen, sagte ein Sprecher des NRW-Wirtschafts- und Energieministeriums.
Ungeachtet der Debatte um die Ausweisung von Baugebieten ist eine Diskussion über Energiepreise unter den Ländern entbrannt. Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD) will Standortvorteile für jene Bundesländer, die mehr für den Ausbau der Windkraft tun als andere.
In der Praxis könnte das bedeuten, dass der Strom etwa im Norden weniger kosten würde als im Süden – und damit Firmenansiedlungen attraktiver macht. Genau davor warnen die südlichen Bundesländer, allen voran Bayern, welches wirtschaftlich besonders stark ist. Die Stadtstaaten forderten in der dpa-Umfrage eine Sonderregelung, da hier die Ausweisung von Flächen wegen des sehr begrenzten Raums besonders schwer ist.
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