Viktor Orbán verstößt nach eigener Aussage gern gegen das, was er „politische Korrektheit“ nennt. Dabei sind die Sprüche von Ungarns Ministerpräsident oft einfach nur Stammtischgerede. Die neueste Kostprobe lieferte er in dieser Woche: Vor Hilfspolizisten, die in den Grenzgebieten zu Serbien und Kroatien Flüchtlinge aufgreifen sollen, sagte Orbán: „Nirgendwo schreiben die Menschenrechte den nationalen Selbstmord vor.“ Das sieht er offenbar ganz ähnlich wie der künftige US-Präsident Donald Trump, der Amerika auch wieder „great again“ machen will. Beide werden wohl demnächst schon zusammentreffen. Trump hat Orbán bereits eingeladen.
So wie Trump Migration für Teufelszeug hält, sieht auch Orbán die angeblich von Brüssel geförderte Zuwanderung als Gefährdung von Sicherheit, Kultur und Wirtschaft Ungarns. Weil Ungarn sich gegen die illegale Einwanderung verteidige, sei es eines der sichersten Länder Europas. „Bei uns“, so Orbán hämisch, „fahren sie nicht mit Lastwagen in feiernde Menschen.“
Wenige Stunden später verkündete Orbáns Kanzleiminister János Lázár ein neues Vorhaben: die generelle Internierung von Flüchtlingen. Man erwäge, Asylbewerber künftig ohne Ausnahme in „fremdenpolizeilichen Gewahrsam“ zu nehmen, so Lázár. Asylantragsteller würden demnach solange in Transitzonen oder in geschlossenen Flüchtlingslagern bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden ist, und hätten kein Ausgangsrecht.
In der letzten Zeit war es still geworden um die ungarische Flüchtlingspolitik. Die neue Offensive kommt just in dem Moment, in dem die menschenunwürdigen Zustände an der Grenze und in den Flüchtlingslagern für negative Schlagzeilen sorgen – vor allem angesichts von Temperaturen, die bis zu minus dreißig Grad erreichen. „Mit den Parolen gegen terroristische Migranten und gegen Brüssel soll vom Elend der Flüchtlinge abgelenkt werden“, kritisiert Márta Pardavi, Co-Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation Helsinki Komitee.
Maximale Abschreckung
Tatsächlich sind die Zustände für Flüchtlinge in Ungarn verheerend: An der ungarisch-serbischen Grenzen harren auf serbischer Seite vor den beiden ungarischen Transitzonen an den Grenzübergängen Röszke und Tompa jeweils einige Dutzend Menschen in improvisierten Zelten aus Decken und Plastikplanen aus. Wochentags werden jeweils nur noch zehn Asylsuchende hereingelassen, am Wochenende niemand mehr.
Márk Kékesi, Mitbegründer der privaten südungarischen Hilfsorganisation Migszol nennt das Verhalten der ungarischen und serbischen Behörden „unwürdig und empörend“. Um Flüchtlinge abzuschrecken, erlaube die Grenzpolizei so gut wie keine Hilfeleistungen, so Kékesi, dem es zusammen mit einigen Mitstreitern zu Wochenanfang immerhin gelang, den Flüchtlingen etwas Brennholz zu bringen. Zwar gibt es in der nahe gelegenen serbischen Kleinstadt Subotica ein Aufnahmelager für Flüchtlinge mit beheizten Zelten und Baracken. Doch aus Angst, dort dauerhaft stecken zu bleiben, campieren vor den ungarischen Transitzonen weiterhin Flüchtlinge – in der Hoffnung, doch hereingelassen zu werden.
Ähnliche Zustände herrschen auch in ungarischen Flüchtlingslagern, so etwa in Körmend in Westungarn, wenige Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Im dortigen Zeltlager wird offenbar kaum geheizt, wie ungarische Hilfsorganisationen der Einwanderungsbehörde BAH bereits seit einigen Wochen vorwerfen. Ziel sei es offenbar, Asylbewerber indirekt dazu zu drängen, Ungarn illegal zu verlassen und über die grüne Grenze nach Österreich weiterzuziehen.
Ein Zeichen gegen das Nichtstun
Nicht viel anders sieht es weiter südlich aus. An der bulgarisch-türkischen Grenze erfror Anfang Januar in einem Schneesturm eine Frau, die offenbar aus Somalia geflüchtet war; sie gehörte zu einer Gruppe von mehreren Dutzend Flüchtlingen, die von der Polizei im Grenzgebiet aufgegriffen worden war.
Im Dezember war es in einem bulgarischen Flüchtlingslager zu schweren Ausschreitungen gekommen, nachdem die Behörden mit Verweis auf Infektionsgefahren eine Ausgangssperre verordnet hatten; Hunderte Flüchtlinge wurden verhaftet, viele davon später abgeschoben. Bulgarien arbeitet unterdessen mit Hochdruck am Ausbau seines Grenzzauns zur Türkei.
In der serbischen Hauptstadt Belgrad campieren bei eisigen Temperaturen in Parks, leer stehenden Lagerhallen oder Parkhäusern derzeit etwa 1500 Flüchtlinge, die sich nicht in den Aufnahmelagern nahe der Grenzen zu Mazedonien, Kroatien und Ungarn registrieren lassen wollen. Geholfen wird ihnen fast nur durch private Flüchtlingsinitiativen. Rados Djurovic, der Direktor des Belgrader Zentrums zum Schutz für Asylsuchende, wirft den serbischen Behörden schlechte Organisation und Mangel an Koordination in der Flüchtlingspolitik vor.
Die serbische Regierung rühmte sich lange Zeit, Serbien sei das einzige Land auf der Balkanroute, dass Flüchtlinge menschlich behandele. Inzwischen hat die Regierung ihre Politik verschärft – laut Aussagen des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR werden Flüchtlinge verstärkt rechtswidrig über die Grenze nach Mazedonien und Bulgarien abgeschoben. „Viele Flüchtlinge haben Angst davor, deshalb meiden sie die serbischen Aufnahmezentren“, so Djurovic.
In Ungarn sorgt unterdessen ein katholischer Priester mit seiner Hilfsbereitschaft für Schlagzeilen: Zoltán Németh, der eine Pfarrei im westungarischen Körmend leitet, nahm vor einigen Wochen Flüchtlinge ins Pfarrhaus auf, die es in den kaum geheizten Zelten des Aufnahmelagers nicht mehr aushielten. Daraufhin erhielt Németh über das Internet und auch von Bürgern in Körmend zahlreiche Hassbotschaften, zugleich aber auch „viel heimliches Lob von Kollegen aus der Kirche, die sich nicht trauen, es öffentlich auszusprechen“.
Die meisten Kirchen in Ungarn folgen Orbáns Linie in der Flüchtlingspolitik oder schweigen dazu. Pfarrer Németh hingegen wollte ein Zeichen gegen das Nichtstun setzen. Dass er damit plötzlich berühmt wurde, hätte er nicht gedacht – und auch nicht beabsichtigt. „Ich wollte einfach nur meine christliche Pflicht erfüllen.“
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