Eine Tatsache muss man sich immer wieder vor Augen führen, wenn es um Viktor Orbán geht: Noch gehört dessen ungarische Regierungspartei Fidesz offiziell zu den europäischen Christdemokraten. Auch wenn sie seit März 2019 nur noch „suspendiertes“ Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) ist. Das ist bemerkenswert, denn Politik macht der Ministerpräsident schon seit einer ganzen Weile ganz weit rechtsaußen.
Im aktuellen Europawahlkampf etwa wirbt er ausdrücklich für das politische Lager der rechten Populisten und Nationalisten. Nach Orbáns Vorstellung sollte die Europäische Volkspartei die Eckpunkte rechtspopulistischer Politik übernehmen und nach der Europawahl mit den Rechtspopulisten kooperieren.
Ganz in diesem Sinne empfing Orbán vergangene Woche den italienischen Innenminister und Vizeregierungschef Matteo Salvini, den derzeitigen Star der europäischen Rechtsaußen-Politik. Wie schon im August 2018 bei ihrem ersten Treffen in Mailand nannte Orbán Salvini auch diesmal „meinen Helden und Schicksalsgenossen“. Salvini habe Europa auf dem Meer geschützt, Ungarn habe dies zu Land getan, so der Premier.
Am Hochsicherheitszaun der ungarisch-serbischen Grenze und später auf einer Pressekonferenz in Budapest inszenierten sich die beiden Männer als Kommandanten der Festung Europa und als Kumpel, zwischen die kein Blatt passt. „Heimatliebe, starke Nationalstaaten, Vorrang christlicher Werte in Europa und Verteidigung der Grenzen Europas gegen die Invasion der Migranten“ – so fasste Orbán seine Gemeinsamkeiten mit Salvini zusammen.
Österreicher Strache: Der nächste Rechte kommt zu Besuch
Am heutigen Montag nun empfängt Orbán den nächsten prominenten europäischen Rechtspopulisten, den österreichischen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Zwar ist Orbáns Verhältnis zu Strache nicht ganz so innig wie jenes zu Salvini. Doch in einem Interview mit der österreichischen „Kleinen Zeitung“ pries Ungarns Premier den FPÖ-Chef als jemanden, der „nicht dekadent“ sei und „nicht die Sprache politischer Korrektheit spricht“. An die Adresse der EVP gerichtet sagte Orbán, Europa solle das „Modell Österreich“ übernehmen, wo die konservative ÖVP mit Straches rechtspopulistischer FPÖ regiert. Bereits in der vergangenen Woche hatte Ungarns Premier gesagt, eine Allianz der EVP mit Linken oder Liberalen wäre „Selbstmord“.
EVP stark nach rechts ziehen
„Fidesz ist gegenwärtig das einzige EVP-Mitglied, dessen Wahlkampagne sich offen gegen die eigene Parteienfamilie und deren Führer richtet“, sagt der ungarische Politologe Péter Krekó vom Budapester Institut Political Capital dem SPIEGEL: „Der ideologische Riss zwischen der EVP und Orbáns Partei wird immer größer, man kann Fidesz bereits dem rechtsextremen Spektrum zurechnen, denn die Partei spricht dessen Sprache.“
Mit dem Herzen sei Orbán eigentlich bei Salvini, pragmatische Überlegungen würden allerdings dagegen sprechen – schließlich könnte damit Orbán aus dem Mainstream der europäischen Politik herausfallen, so Krekó weiter. „Hauptziel ist deshalb, die EVP umzuformen und sie stark nach rechts zu ziehen, wobei er selbst eine Art Brückenrolle zwischen der EVP und Euroskeptikern und Rechtsextremen spielen würde.“
Innenpolitisch hat Orbán diese Strategie mit großem Erfolg etabliert. Von der Mitte bis nach ganz rechtsaußen dominiert Fidesz, sämtliche einst erfolgreichen rechtsextremen Kräfte wie die Jobbik-Partei spielen kaum noch eine Rolle. Außenpolitisch pflegt Orbán seit Langem ein freundschaftliches Verhältnis zu prominenten rechten Populisten und Nationalisten. Darunter sind der holländische Politiker Geert Wilders, der wegen seiner ungarischen Ehefrau häufig Gast in Ungarn ist, und Trumps Ex-Stratege Steve Bannon. Der lobte Orbán bei einem Auftritt in Budapest im vergangenen Jahr als „Trump vor Trump“.
Ungarns Premierminister Orbán: Mit dem Herzen bei Salvini
Der Ton wird rauer – auch auf der politischen Gegenseite
Der Preis, den Ungarn für diese Politik zahlt, ist jedoch hoch: Das öffentliche Klima im Land ist durch die jahrelangen Propagandakampagnen der Regierung gegen Flüchtlinge, gegen den US-Milliardär George Soros oder gegen die Europäische Union vergiftet. Das Niveau der politischen Kultur sinkt auch bei der demokratischen Opposition auf einen Tiefstand, wie jüngst das Beispiel einer sozialistischen Politkerin zeigte, die Fidesz-Wähler als „Ratten“ bezeichnet hatte.
Wie Orbáns strategisches Spiel ausgeht, hängt wesentlich vom Ausgang der Europawahl am 26. Mai ab. Ob dann allerdings auch über das weitere Schicksal von Fidesz in der EVP entschieden wird, ist fraglich. „Orbáns Partei ist zwar eine immer größere Last für die EVP, allerdings dominieren bei vielen EVP-Politikern pragmatische Erwägungen über ideologische und emotionale Gesichtspunkte“, so Politologe Krekó. „Orbans Liebesbezeugungen gegenüber der extremen Rechten Europas könnten seine Position innerhalb der EVP paradoxerweise sogar stärken, da die größte Angst der Volkspartei ist, dass sich die Euroskeptiker zusammenfinden.“
Um das zu verhindern, so Krekó, könnte die Taktik darauf abzielen, Orbán in der EVP zu halten.
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