Kaum jemand außerhalb seiner Partei Les Républicains hat François Fillon bislang richtig ernst genommen. Zu brav, zu anständig, zu wenig machiavellistisch erschien der gelernte Verwaltungsfachmann aus der Rennfahrerstadt Le Mans, um in der französischen Politik eine wirklich große Rolle zu spielen. Nur eines konnte dem 61-Jährigen, der schon sieben Ministerämter bekleidete, bislang niemand absprechen: seinen guten Ruf als ehrlicher Mann.
Nun, unterschätzt von allen, liegt Fillon im Rennen um die Präsidentschaft plötzlich ganz vorn. Jüngste Umfragen vor den offenen Vorwahlen der Republikaner, die an diesem Sonntag und am 27. November den Kandidaten der konservativen Partei bestimmen sollen, sehen Fillon als Favoriten. Dem Sieger werden beste Chancen eingeräumt, auch die Präsidentschaftswahl am 7. Mai 2017 zu gewinnen. Insbesondere im Vergleich mit Marine Le Pen, der rechtsextremistischen Parteiführerin des Front National, könnte Fillon dann gut abschneiden, besagen die Umfragen.
Geradlinig, charmant, präsidentiell
Sein unvorhergesehener Aufstieg begann erst in den vergangenen Wochen. Drei Mal mussten die sieben Kandidaten der Republikaner zwei Stunden lang im Fernsehen miteinander diskutieren. Jedes Mal wirkte Fillon wie der seriöseste und konzentrierteste Kandidat, der sich nicht den polemischen Streitereien seiner Konkurrenten hingab. Er sei präsidentieller als die anderen, befanden die Journalisten. Damit meinten sie: mehr Autorität, mehr Geradlinigkeit, mehr Charme. Mehr Verwandtschaft mit den großen Vorbildern wie Charles de Gaulle und François Mitterrand. Fillon hatte man das Präsidentielle bisher eher nicht zugetraut.
Eigentlich war alles auf das Duell der Favoriten hinausgelaufen: hier der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy in der Rolle des hart zuschlagenden Bonapartisten, dort der ehemalige Premierminister Alain Juppé in der Rolle des liberalen Christdemokraten. Bislang erschienen alle anderen Mitbewerber bei den Republikanern hoffnungslos abgeschlagen. Auch François Fillon wirkte noch bis Mitte Oktober chancenlos. In Umfragen lag er bei zehn Prozent, damit um 20 Prozent hinter Juppé und Sarkozy. Das entsprach seinem Image – der ewige Zweite.
Fünf Jahre, von 2007 bis 2012, stand der Saubermann der französischen Politik als braver Premierminister im Schatten seines extravaganten Präsidenten. Als Nicolas Sarkozy 2012 die Wiederwahl misslang, schien Fillons Stunde als Oppositionsführer zu kommen. Doch er blieb wieder nur Zweiter, kandidierte erfolglos für den Vorsitz seiner Partei.
Solider Arbeiter mit radikalem Programm
Dabei sind sich weite Teile der Parteieliten, insbesondere eine große Zahl der Fraktionsmitglieder im Parlament bis heute einig, dass kein anderer Politiker so ausgefeilte, solide Arbeit leistet wie Fillon. Wo er in Gesetzesdebatten interveniert, bietet er stets ausformulierte Alternativen. Entsprechend trat der Kandidat jetzt im Vorwahlkampf auf. Persönlich bescheiden, doch mit der Überzeugung: „Ich habe das beste Programm.“
Tatsächlich gilt François Fillon als härtester Wirtschaftsreformer der Partei, ja als Thatcherist. Er will innerhalb von fünf Jahren eine halbe Million Beamtenstellen in Frankreich streichen. Statt 35 Stunden sollen unter ihm bis zu 48 Stunden wieder legale Wochenarbeitszeit sein. Gewerkschaftsrechte will er stark beschneiden, die Sozialabgaben der Unternehmen drastisch senken. Das ganze neoliberale Programm. Seine Kritiker sagen, seine Ideen kämen aus den 1980er Jahren.
Auch außenpolitisch wäre Fillon anders. Er selbst sieht sich als Gaullist. „François Fillon verkörpert die konservative französische Provinz: antiamerikanisch, prorussisch, Verteidiger der Christen im Nahen Osten“, schreibt die Pariser Tageszeitung Le Monde. Andere sehen ihn als Vertreter eines ländlichen Katholizismus, in dessen Namen in den letzten Jahren Hunderttausende Menschen gegen die Homoehe demonstrierten. Prominentester Unterstützer Fillons außerhalb der Republikaner ist der Manager Henri de Castries, der bis vor Kurzem den Versicherungskonzern AXA führte und Fillon für seine konsequente Reformhaltung lobt.
Die bessere Alternative für linke Wähler
Doch so radikal Fillons Programm ist, so gemäßigt wirkt sein Auftreten. Das erklärt nicht zuletzt seine guten Umfragewerte bei einem möglichen Duell gegen Marine Le Pen im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. Hier würde Fillon nach bisherigen Schätzungen deutlich besser abschneiden als der Ex-Präsident Sarkozy, weil er über das konservative Lager hinaus attraktiver erscheint.
Trotz seiner wirtschaftsnahen Reformideen steht er für einen staatstragenden, sozial angehauchten Konservatismus. Jede Art von Populismus liegt ihm fern. Aufgrund seiner gaullistischen, eher väterlichen Art kommt Fillon nicht wie ein Neoliberaler daher. Das mag in der Sache täuschen, macht ihn aber gerade für traditionell linke Wähler in einer Stichwahl mit Le Pen zur begrüßenswerten Alternative – während viele Linke Sarkozy scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Die Wahl scheint nun insgesamt offener denn je zu sein. Wer hätte noch vor Tagen für möglich gehalten, dass Fillon den bisherigen Favoriten Alain Juppé noch vor diesem Wahlsonntag in den Umfragen verdrängen würde? Niemand. Gleichwohl könnte François Fillon schon morgen wieder in die Vergessenheit zurückfallen, wenn seine Aufholjagd dann doch zu spät kommt.
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