Am Tag seines Wahlsieges hat Donald Trump auch einen Brief auf französisch erhalten: der Bürgermeister des südfranzösischen Städtchens Béziers lud den künftigen US-Präsidenten ein; schließlich träten sie beide gegen „die Eliten“ und für „Traditionen und Grenzen“ ein. Robert Ménard ist einer der wenigen Bürgermeister des Front National in Frankreich und hat sich im vergangenen Monat vor allem um 21 neue Verordnungen für Parkplätze gekümmert – aber nun will die rechtsextreme Partei auch vom Trump-Sieg jenseits des Atlantiks profitieren.
So unwahrscheinlich es auch ist, dass Trump sich tatsächlich in dem kleinen Wein-Ort einfinden wird, so stark wirkt sein Wahlsieg in die französische Politik hinein. In rund fünf Monaten wird ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt, und noch ist völlig unklar, wer die besten Chancen hat. Die regierenden Sozialisten wissen noch nicht einmal, ob sie den unbeliebten Präsidenten François Hollande noch einmal aufstellen wollen, auch die konservativen Republikaner wählen erst Ende des Monats ihr Zugpferd.
Für den rechtsextremen Front National hingegen steht Chefin Marine Le Pen seit langem als Kandidatin fest. Und mit Trumps überraschendem Sieg scheint es auf einmal auch für sie möglich zu sein, im kommenden Jahr zur Präsidentin gewählt zu werden. Bisher gingen alle Prognosen davon aus, dass es Le Pen zwar in den zweiten Wahlgang schafft. Danach aber, so heißt es seit Jahren, habe sie keine Chance auf das höchste Amt in Frankreich – über mehr als 30 bis 35 Prozent werde sie nicht hinauskommen. Diese Gewissheit scheint begraben zu sein. Wenn Amerika Trump wählt, könne auch Frankreich Le Pen wählen, sagen nun Politikwissenschaftler.
„Auch bei uns kann es so einen Schock geben“, sagt die Dozentin für Amerika-Studien Emilie Souyri. „Der Front National und Trump ähneln sich.“ Die französischen Rechtsextremen hätten das Gefühl des Abstiegs, das viele Bürger verängstigt, für sich genutzt. Psychologische Studien hätten bewiesen, dass eine wachsende Ungleichheit zwischen Armen und Reichen zu einer hohen emotionalen Reaktion führt – rationale Programme würden unwichtig. „Wenn der Chef einer Supermarktkette Tausend Mal soviel verdient wie seine Angestellten, dann reißt das eine Kluft in die Gesellschaft.“ Eine Kluft, die Hollande zu schließen versprach. Der Sozialist machte aber vor allem den Unternehmen Steuergeschenke und musste sich dafür rechtfertigen, dass er seinem persönlichen Friseur 10.000 Euro im Monat zahlt.
Anwalt der Zurückgelassenen
Der Front National verkauft sich nun als Anwalt der Zurückgelassenen. War sein Programm vor einigen Jahren noch wirtschaftsliberal, fordert Marine Le Pen nun wie Trump auch Zölle auf ausländische Produkte. Ihre Sympathisanten sind ebenso häufig weiße, ältere Männer und Menschen, die auf dem Land leben und darunter leiden, von ihrer Arbeit nicht mehr leben zu können. Denn im ehemaligen Agrarland Frankreich können Landwirte nur noch existieren, wenn ihnen der Staat zu mehr als 50 Prozent ihren Betrieb subventioniert. Gemüsebauer beispielsweise verdienen nach Angaben der Agrarkammern nur rund 1.200 Euro im Monat – eine wichtige Gruppe von Menschen, die sich nun dem FN zuwendet. Und wie Trump auch, schafft es der FN, eine Sehnsucht nach der Vergangenheit zu schüren, in der die Menschen besser lebten und die es zurückzuholen gelte.
Auch Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der wieder auf das höchste Amt spekuliert, will von Trump profitieren. Nach Trumps Sieg stellt er sich in eine Linie mit dem Populisten – obwohl er zuvor für Hillary Clinton geworben hatte. „Auch ich sehe eine schweigende Masse hinter mir, die sich gegen das Einheitsdenken wendet,“ sagte er. Es sei keine Zeit für „weiche Kandidaten“, sagte er in Anspielung auf den bislang als Favoriten geltenden Parteikollegen und früheren Premierminister Alain Juppé, der versöhnlichere Töne anschlägt. Einer der beiden soll Ende des Monats von den Mitgliedern zum Kandidaten der Republikaner gekürt werden.
Aber in Frankreich stehen viele Kandidaten im Rampenlicht – unter anderem auch die Linken von Jean-Luc Mélenchon, der sich eher in einer Reihe mit Bernie Sanders sieht, dem demokratischen Kandidaten, der bei den Vorwahlen nur knapp Hillary Clinton unterlegen war und ein radikales linkes Programm vorgelegt hat. „Bernie Sanders hätte gegen Trump gewonnen“, sagt Mélenchon. Jetzt sei es an der Zeit, die „Hillary Clintons“ in Frankreich – für ihn die regierenden Sozialisten – abzuhaken und schnell den „populistischen Zug“ zu verlassen.
Tatsächlich halten es nun einige Demoskopen für möglich, dass sich im zweiten Wahlgang Mélenchon und Le Pen gegenüberstehen – das wäre in etwa so wie das ausgefallene Duell Trump gegen Sanders. Mélenchon erinnert in seinem Programm an den demokratischen Amerikaner: Er möchte das Steuersystem revolutionieren und den Mindestlohn verdoppeln, er möchte aus den Handelsabkommen mit der EU und den USA aussteigen, er möchte die Küstenzonen Frankreichs nutzen, um saubere Energie zu produzieren und Jobs zu schaffen.
Mélenchon ist stolz darauf, unter allen Politikern die meisten Zuschauer auf YouTube zu haben – tatsächlich gucken Zehntausende Menschen seine Clips, in denen er 20 Minuten lang regungslos vor der Kamera sitzt und beispielsweise über Armut oder die Fusion von Bayer und Monsanto spricht. Inzwischen ist Mélenchon in den Umfragen bei rund 15 Prozent. Das sind einige Prozente mehr, als der amtierende Präsident Hollande auf sich vereint. Frankreich könnte nach Amerika die nächste überraschende Wahl bieten.
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