Hatte Lee Harvey Oswald einen Komplizen? War es ein Auftragsmord der Mafia? Steckte die CIA dahinter? Oder Kuba? Vielleicht Russland? Und was hatte der Vater des republikanischen Senators Ted Cruz mit all dem zu tun?

Auch 54 Jahre nach dem Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy sind immer noch die abwegigsten Verschwörungstheorien im Umlauf. Fast jeder dritte Amerikaner glaubt den offiziellen Tathergang bis heute nicht. Es ist ein Thema, bei dem sie sich selten einig sind: Frauen, Männer, Weiße, Schwarze, Linke, Rechte.

Jetzt bekommen diese Spekulationen noch mal neuen Auftrieb – dank dem obersten Verschwörungsfanatiker der Nation: US-Präsident Donald Trump hat genehmigt, dass an diesem Donnerstag rund 31.000 geheime Regierungsakten zum Attentat von 1963 auf einen Schlag veröffentlicht werden.

Schon am Samstag hatte Trump das prinzipiell angekündigt, am Mittwoch bestätigte er seine Entscheidung mit einem typischen Tweet: „Die lange erwartete Freigabe der JFK-Akten wird morgen erfolgen. So interessant!“

Es ist ein Schachzug, der Trump mehr nützt als sonst jemandem. Denn damit stilisiert er sich zum großen Enthüller – obwohl die gesetzliche Geheimhaltungsfrist sowieso abläuft und er sie einfach nur nicht blockiert.

Zudem nutzt er damit seiner Agenda: Der Akten-Hype dürfte falsche Fährten eröffnen, die Verschwörungstheoretiker befeuern, das Vertrauen in den Staat weiter erodieren und Trumps parallele Schattenwelt stärken, in der Realität und Fiktion immer mehr im Fake-News-Dunst verschwimmen.

AFP

Donald Trump

Warum kommen die Akten ausgerechnet jetzt heraus?

Trump nutzt die Gunst der Stunde. Das US-Nationalarchiv birgt rund fünf Millionen Aktenseiten über das Kennedy-Attentat, die meisten von CIA und FBI. Nach Oliver Stones Verschwörungsfilm „JFK“ ordnete der Kongress 1992 an, die Papiere schrittweise zugänglich zu machen. 88 Prozent des Materials sind inzwischen öffentlich und von Historikern erschöpfend durchforstet. Bis auf mehr als 33.000 Seiten, von denen 30.000 bisher nur geschwärzt zu lesen waren. Die blieben für 25 Jahre gesperrt. Stichtag: 26. Oktober 2017.

Was könnte in den Akten stehen?

Experten erwarten keine großen Enthüllungen, die die offizielle Version erschüttern könnten: Oswald – der zwei Tage später selbst erschossen wurde – handelte demnach alleine (hier kommen Sie zu einer interaktiven Tatortbegehung aus Dallas). Trotzdem gibt es offene Fragen, vor allem um eine Reise Oswalds nach Mexiko-Stadt kurz vor dem Anschlag, bei der er von der CIA beschattet wurde, sich mit kubanischen und sowjetischen Agenten traf und über seine Attentatspläne sprach.

Das legt nahe, dass die US-Behörden vorab Bescheid wussten oder die Ermittlungen später behinderten. Kürzlich freigegebenen Akten zufolge verschwieg die CIA ihre Erkenntnisse, um ihre fehlgeschlagenen Attentatspläne gegen Kubas Machthaber Fidel Castro zu vertuschen. Andere erwarten sich Aufschluss über Oswalds bisher schwammige Mordmotive – sowie die Namen zahlloser Exilkubaner in Florida, die damals an Umsturzversuchen gegen Castro beteiligt gewesen sein sollen.

Der Moment kurz vor dem Attentat in Dallas (1963)

REUTERS

Der Moment kurz vor dem Attentat in Dallas (1963)

Was erhoffen sich Verschwörungsfanatiker?

Verschwörungstheoretiker und Trump-Fans fiebern der Bestätigung alter und neuer Fantasien entgegen. Eine ihrer jüngsten Thesen verbreitete Trump voriges Jahr gegen Vorwahlgegner Ted Cruz: Dessen Vater sei ein Kumpan Oswalds gewesen.

Zeugen hätten ihn identifiziert, twitterte am Mittwoch Trump-Intimus Roger Stone, der Trump persönlich zur Freigabe der Akten bewogen haben will. Stone glaubt, Kennedys Vize und Nachfolger Lyndon B. Johnson habe den Mord über CIA und FBI eingefädelt – womit sich auch die heutigen Demokraten diffamieren ließen. Andere Theorien: Die Mafia, Kuba oder Russland zogen die Fäden. Mit der Veröffentlichung wird all das neu aufflammen – und erst recht, sollten doch Teile der Akten blockiert bleiben.

Wie läuft die Veröffentlichung ab?

Die Publikation „könnte ein Fiasko werden“, warnen die Kennedy-Experten Philip Shenon und Larry Sabato im Magazin „Politico“. Denn die National Archives and Records Administration (NARA) will alle Dokumente auf einen Schlag online freischalten. Beim letzten JFK-Aktenschub im Juli hielten die Server dem Andrang nicht stand und brachen tagelang zusammen. Diesmal will NARA besser vorbereitet sein, kämpfte aber angeblich bis zuletzt weiter mit technischen Problemen.

Und auch wenn die PDF-Dateien schnell herunterzuladen sind, sind sie möglicherweise nur schwer verständlich. „Viele Dokumente entpuppten sich als unleserlich oder wimmelten vor CIA- und FBI-Codenamen und anderem Fachjargon“, berichteten Shenon und Sabato, die das Archiv schon früher für Bücher über das Attentat durchkämmten. Es werde „Monate oder Jahre“ dauern, bis man aus ihnen schlau werde.

Die Akte Kennedy
  • DPA/ White House

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