Sie beschreiben in Ihrem Buch „Bis wir frei sind“ etwas Ungeheuerliches: wie das iranische Regime in den vergangenen Jahren Zug um Zug Ihr Leben zerstört hat.
Ich habe alles verloren. Ich kann im Iran nicht mehr als Anwältin arbeiten. All mein Besitz wurde konfisziert. Das Regime hat meine Kollegen verhaftet und meine Ehe zerstört. Seit sieben Jahren bin ich gezwungen, im Exil zu leben.
Es muss sehr aufwühlend gewesen sein, das alles aufzuschreiben.
Ja. Es gab sie, diese Momente des Schmerzes beim Schreiben. Aber es gab keine Alternative. Ich möchte den Menschen klarmachen, wozu die iranische Regierung fähig ist. Wenn all das einer Nobelpreisträgerin angetan wird, die im Ausland große Bekanntheit genießt: Wie muss es erst all den Namenlosen ergehen, die im Iran für Menschenrechte und Demokratie kämpfen?
Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2003 war Ihr größter Triumph. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute die Bilder von damals ansehen?
Dass sich nichts verändert hat für mich. Trotz allem. Ich trage immer noch meinen Stolz in mir. Genau wie damals.
Aber Sie haben einen hohen Preis dafür gezahlt …
Täuschen Sie sich nicht! Was mir angetan wurde, geschah nicht wegen des Nobelpreises. Sondern wegen meiner Arbeit. Der Kampf für Demokratie und Menschenrechte im Iran hat seinen Preis. Das habe ich immer gewusst.
Diesen Preis haben nicht nur Sie selbst zahlen müssen. Ihrer Tochter wurde zeitweise der Pass entzogen, Ihre Schwester wurde verhaftet. Und schließlich geriet auch Ihr Ehemann in die Fänge des Geheimdienstes.
Sie ließen ihn von einer Sexarbeiterin verführen und filmten die beiden aus dem Nebenraum. Wenn im Iran eine Frau nur eine Haarsträhne zu viel öffentlich zeigt, und sei es aus Versehen, kann sie verhaftet und bestraft werden. Und genau dieses Regime stellt Sexarbeiterinnen für seine politischen Zwecke an.
Was geschah dann?
Mein Mann wurde wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verurteilt und inhaftiert. Danach setzte ihn ein Agent des Geheimdienstes unter Druck: Das Urteil würde fallen gelassen, falls er mich vor laufender Kamera denunziere. Das Video wurde zweimal im iranischen Fernsehen ausgestrahlt.
Das alles geschah, während Sie schon im Exil lebten, weil Sie um Ihr Leben fürchteten. Nach seiner Entlassung aus der Haft beichtete Ihr Mann Ihnen am Telefon, was geschehen war. Wie haben Sie reagiert?
Im ersten Moment wollte ich auf den Balkon hinausrennen und schreien. Nachdem sie mir mein Richteramt und mein Anwaltsbüro genommen und mich ins Exil gezwungen hatten, zerstörten sie nun auch noch meine Ehe. Wie viel kann man einem Menschen nehmen? Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf.
Ihren Mann machen Sie nicht verantwortlich für den Betrug?
Mein Mann ist ein Opfer meiner Arbeit als Rechtsanwältin. Was sie ihm angetan haben, war im Iran vorher schon anderen passiert.
Ihnen war klar: Auch meine Familie kann ein Ziel werden.
Sind Sie das Risiko also bewusst eingegangen?
Noch einmal: Das ist der Preis des Kampfes für Freiheit. Auf der Welt würde sich nichts ändern, wenn alle nur an ihren persönlichen Vorteil dächten.
Sah Ihr Mann das genauso?
Als wir Mitte der 1970er Jahre heirateten, lebten wir noch ein anderes Leben. Die Umstände veränderten sich erst später. Trotzdem hat er immer zu mir gestanden, auch in den Zeiten schlimmster Schikanen während der Ahmadinedschad-Jahre. Doch letztlich war mein Weg nicht sein Weg. Einige Zeit nach dem Vorfall mit der Prostituierten hat er mich um die Scheidung gebeten. Nach 37 Jahren Ehe habe ich in einer iranischen Botschaft in Europa die Scheidungspapiere eingereicht. Es war die einzige Möglichkeit, denn er wollte weiter im Iran leben.
Das Regime hat Sie nicht brechen können.
Würden Sie sagen, dass es Ihren Mann gebrochen hat?
Alle im Iran wissen, dass das Video, in dem Dschawad mich angreift und denunziert, unter Folter entstanden ist. Aber: Ja, er hat unter Zwang etwas gesagt, das er nicht sagen wollte. Das bedeutet, sie haben ihn gebrochen.
Eine unvorstellbare Demütigung, die Sie im Buch detailliert nacherzählen – obwohl diese Schilderung an einen Intimbereich rührt, der in der iranischen Gesellschaft weithin als tabu gilt.
Um genau dieses Tabu zu brechen, wollte ich so laut wie möglich darüber sprechen. Denn das Regime bedient sich ja exakt dieses Tabus. Es setzt auf das Gefühl der Schande, um die Menschen zum Schweigen zu bringen. Agenten der Islamischen Republik haben einen Raum mit Kameras präpariert, um meinen Mann beim Ehebruch mit einer Frau zu filmen, die sie auf ihn angesetzt hatten. Was ist daran bitte islamisch? Dieses Regime missbraucht den Islam.
Trotz alledem scheint das Ansehen des Iran seit Abschluss des Atomabkommens zu steigen. Sie unterstützten diesen Deal ausdrücklich.
Das iranische Volk hat lange unter den ökonomischen Sanktionen gelitten. Mein Kampf war stets darauf ausgerichtet, die Lebensumstände im Iran zu verbessern. Ohne das Nuklearabkommen wäre die Lage der meisten Menschen im Iran noch verzweifelter geworden. Vergessen Sie nicht: US-Präsident Obama hatte den Kongress mehrfach gewarnt, dass die Alternative zu dem Abkommen ein Krieg sein könnte. Ich war und bin gegen einen militärischen Angriff auf mein Land. Darum habe ich das Abkommen unterstützt und tue das nach wie vor.
Der künftige Präsident Donald Trump hat gedroht, das Abkommen „zu zerreißen“. Was denken Sie angesichts dieser Drohungen über die Zukunft des Vertrags?
Ich nehme diese Drohung nicht ernst. Wir sollten unterscheiden zwischen dem, was er vor der Wahl gesagt hat, und dem, was er als Präsident sagen wird. Der Präsident der Vereinigten Staaten kann nur umsetzen, was im Konsens von Regierung und Parlament abgesegnet wurde.
Im Iran selbst haben sich ein Jahr nach dem Abkommen viele Hoffnungen auf Besserung kaum erfüllt. Dennoch wird Irans Präsident Rohani von westlichen Politikern hofiert. Hat das Abkommen Ihren Kampf für einen freieren Iran nicht letztlich erschwert?
Würden die Menschen im Iran Meinungsfreiheit fordern, wenn ihnen das tägliche Brot zum Essen fehlte? Oder wenn das Land in Krieg und Gewalt versänke, wie es gerade Syrien oder der Jemen tun? Nein. Darum war die Unterstützung für das Abkommen richtig. Was mich allerdings stört, ist das Verhalten mancher europäischer Politiker.
Was meinen Sie?
Diese Leute führen die Menschenrechte zwar ständig im Munde. Aber sie tun wenig dafür, ihnen zur Geltung zu verhelfen, wenn es darauf ankommt. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Jede westliche Politikerin, die in den Iran fährt, trägt dort ein Kopftuch. In ihrer eigenen Heimat würden sich genau diese Frauen vehement gegen einen Kopftuchzwang wehren. Warum tun sie das nicht, wenn sie den Iran besuchen?
Diese Frauen würden wahrscheinlich sagen, dass sie das Kopftuch im Iran aus Respekt für die Landeskultur tragen.
Damit hat das überhaupt nichts zu tun. Sie tragen es, weil sonst kein Nukleardeal und auch keine Wirtschaftsverträge mit dem Iran unterzeichnet würden.
Was würden Sie denn Präsident Trump raten, wie er mit dem Iran umgehen soll?
Er sollte besonders auf die Zivilgesellschaft im Iran achten. Für eine bessere Außenpolitik gegenüber diesem Land muss er die Forderungen und Nöte der Bürger dort analysieren und abwägen.
Warum ist die Zahl der Hinrichtungen unter Präsident Rohani so in die Höhe geschnellt? Allein 2015 sind im Iran fast tausend Todesurteile vollstreckt worden. Unter dem Hardliner Ahmadinedschad zuvor waren es viel weniger.
Sie haben recht. Unter Rohani ist die Zahl der Todesurteile stark gestiegen. Allein bei einer Massenhinrichtung im August wurden 20 Menschen gehängt. Gleichzeitig darf man nicht vergessen: Dank seiner Politik haben die Iraner wieder Zugang zu Medikamenten und anderen Gütern, von denen sie während Ahmadinedschads Regierungszeit abgeschnitten waren.
Warum aber die vielen Hinrichtungen?
Schauen Sie, zwischen Ahmadinedschad und Rohani gibt es nur einen Unterschied: Rohani lächelt mehr. Laut der iranischen Verfassung hat der Präsident ohnehin so gut wie keine Macht. Ob er nun Ahmadinedschad heißt oder Rohani. Ob ein Atomabkommen unterzeichnet wird oder nicht. Das hat alles keinen entscheidenden Einfluss auf die Politik des Regimes. Entscheidend ist die Stimmung im Volk. Die wachsende Unterdrückung vonseiten des Regimes ist eine Folge der wachsenden Unzufriedenheit der Menschen. Darum gibt es so viel mehr Hinrichtungen.
Dennoch gilt vielen der Iran neuerdings als cool. Reiseveranstalter in Deutschland müssen sogar Wartelisten anlegen. Vergisst Europa vor lauter Hurra, mit was für Machthabern es in Wahrheit zu tun hat?
Iran ist ein schönes Land mit einer uralten Zivilisation. Der Westen hat das Bild des Iran lange Zeit schwarzgemalt. Dieses Bild hat nie der Wirklichkeit entsprochen. Auch vor dem Nukleardeal hatten wir in Teheran exzellente Restaurants. Und ein Regime, das Andersdenkende ins Gefängnis steckt. Beides ist noch immer so.
Sie leben inzwischen seit sieben Jahren im Exil. Fühlen Sie sich auch im Ausland vom iranischen Regime bedroht?
Ja. Eine Weile lang hatte ein zwielichtiger iranischer Geschäftsmann das Büro direkt neben meinem angemietet. Mir war klar, dass er ein Agent des Geheimdienstes ist. Sie wollten mir signalisieren: Wo auch immer du hingehst, wir finden dich. Das ist mir aber egal.
Vor einigen Jahren haben Sie Ihren geschiedenen Mann wiedergesehen, in den USA, wo eine ihrer Töchter lebt. Er machte Ihnen schwere Vorwürfe: Wenn mit deiner Hilfe zehn Gefangene freigelassen wurden, nahmen zwanzig andere sofort ihren Platz ein, sagte er zu Ihnen. Wie haben Sie damals reagiert?
Ich war sprachlos.
Warum?
Weil das, was er sagte, ja stimmte.
Haben Sie oft Heimweh nach dem Iran?
Ich reise zehn Monate im Jahr. Ich habe das Gefühl, die Sprecherin des iranischen Volkes zu sein. Heimweh? Natürlich. Aber das hält mich nicht davon ab, meine Arbeit zu tun.
Gibt es Menschen oder Andenken, die Ihnen das Leben im Exil erleichtern?
Meine beiden Töchter helfen mir sehr. Beide leben auch im Ausland. Kann es etwas Wichtigeres im Leben geben als die eigenen Kinder? Außerdem denke ich oft an meine Kollegen im Iran. An Menschen wie meine Mitarbeiter Narges Mohammadi und Abdolfattah Soltani und andere, die teilweise seit Jahren in Haft sind.
Ihren Ehemann erwähnen Sie nicht. Vermissen Sie Ihre Kollegen mehr als ihn?
Es war mein Mann, der mir die Scheidung vorschlug. Das war sein gutes Recht. Von ihm habe ich mich scheiden lassen. Aber nicht von meinen Kollegen.
In einer der bewegendsten Passagen Ihres Buchs schreiben Sie, wie die Belastung rund um die Trennung von Ihrem Mann dazu führt, dass Sie Ihre Augenbrauen verloren. Sie werden also beim Blick in den Spiegel stets daran erinnert, was Ihnen widerfuhr.
Das ist Folge einer Krankheit, ausgelöst durch Stress. Bis heute leide ich unter Haarausfall. Aber das ist nicht so wichtig. Warum sollten wir dem nachtrauern, was wir verloren haben?
Ihr Buch, persönlich und aufrüttelnd: Shirin Ebadi über die Angriffe des Iran auf sie und ihre Familie. „Bis wir frei sind“, Piper, 304 Seiten, 22 Euro
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