Dass die Hölle nicht da ankommen würde, wo sie hinwollte – direkt in unmittelbare Nähe der Mächtigen – war vielen von Anfang an klar. Sie kam dann auch nicht da an. Jedenfalls nicht, wie geplant. „Die Abschlusskundgebung wurde so nonchalant und ohne Auflagen genehmigt, da war doch klar, dass die Polizei mit einer vorzeitigen Auflösung rechnet“, sagt eine Anwältin in einer lilafarbenen Warnweste. So kam es dann auch. „Welcome to Hell“, die seit langem gefürchtete Großdemo mit Tausenden gewaltbereiter Teilnehmer, war zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Wobei: Auch das nur die halbe Wahrheit ist. Denn die Polizei hat das erwartete Fegefeuer nicht gelöscht, sondern die Flammen über die ganze Stadt verteilt.

Dass es später an allen Ecken brennen würde, damit hatte die Juristin in lila, die ihren Namen an dieser Stelle nicht lesen möchte, schon am Nachmittag gerechnet. Zusammen mit einigen ihrer Kolleginnen von ehrenamtlichen Demo-Anwälten, steht sie auf einer Treppe am Rande des Hamburger Fischmarkts. Es ist ein schöner Tag. Ein paar Meter weiter schicken die Hamburger Hip-Hopper von Neonschwarz ihre Bässe in die warme Nachmittagsluft. Das Wetter, die Musik, die Stimmung – es könnte ein Festival sein. „Aber so war die Stimmung auch am Dienstag – und dann hat die Polizei plötzlich Wasserwerfer aufgefahren.“

G20-Einsatzleiter: Kein Pardon für niemanden

Zwei Tage vorher hatten G20-Gegner zum „Massencornern“ aufgerufen; zum Auf-der-Straße-herumstehen und Bier trinken am Kiosk. Weil das in Stadtteilen wie St. Pauli oder dem Schanzenviertel ohnehin üblich ist, dauerte es nicht lange, bis die einschlägigen Ausgeh-Ecken voll waren mit Leuten, die herumstanden und Kiosk-Bier tranken. Irgendwann landeten einige von ihnen auf einer Zufahrtsstraße. Die Polizei ließ sich nicht lange bitten und entfernte die „Störer“ reichlich rabiat. Damit hatte der umstrittene Hamburger G20-Einsatzleiter Hartmut Dudde den Ton vorgegeben: kein Pardon für niemanden.

Nur: Viele Teilnehmer der „Welcome to Hell“-Demo sind keine harmlosen Normalos mit großem After-Work-Durst, sondern hartgesottene Krawallprofis, die wissen was sie wollen. Aus halb Europa sind sie angereist: England, Italien, Griechenland. Dazu die Deutschen. Der schwarze Block ist international. Rund 8000 hatten sich angekündigt und ein großer Teil dürfte es wohl auch nach Hamburg geschafft haben. Und ein Teil erhofft sich nichts sehnlicher als erbarmungslose Sicherheitskräfte. Dann sind sie endlich wieder Opfer, die sich heldenhaft wehren. Dann kann es losgehen. Und das tat es an diesem schönen Nachmittag.

Nicht immer wird Vermummungsverbot durchgesetzt

Während an der Ecke Fischmarkt/Hafenstraße einige G20-Gegner noch dabei waren, einen riesigen „Schwarzen Block“ aufzublasen, mehr rund als eckig, und per Laubbläser mit Farbe zu besprühen, beginnt es etwas weiter Richtung Landungsbrücken zu brodeln. Die Polizei fordert von den Demonstranten, sich ans Vermummungsverbot zu halten. Ansonsten dürfe der Demozug nicht starten. Stillstand. Später wird es von Seiten der Polizei hießen, rund 1000 Teilnehmer seien vermummt gewesen. Sie nimmt die Weigerung, Schals, Sturmhauben und Sonnenbrillen abzusetzen zum Anlass, ihre Hochleistungs-Wasserwerfer einzusetzen.

Auf die Frage an einen am Rande stehen Polizeibeamten, warum bei manchen Demonstrationen das Vermummungsverbot egal zu sein scheint und bei anderen nicht, erwidert der ungerührt: „Das entscheidet die Einsatzleitung von Fall zu Fall.“ Das klingt zumindest nach willkürlichen Entscheidungen.

„Wir fordern unsere Stadt zurück“

Zu dem Zeitpunkt, gegen 18 Uhr, hatte sich die Demo, zu der mittlerweile rund 10.000 Leute gekommen waren – vom Anarcho-Teenager mit türkischen Wurzeln über Minirock-Studenten und Senioren mit Stangenporree im Rucksack bis zu den üblichen Gegen-den-Staat-Linken, noch nicht einmal in Bewegung gesetzt. Stattdessen stürmen hochgerüstete Bereitschaftsbeamte in die Menge, die Menge weicht zurück und stiebt in die den Fischmarkt umgebenen Straßen, Gärten und Hauseingänge davon. Die Lage wird unübersichtlich. Den benachbarten Pinnasberg rennt ein Polizeitrupp erst hoch, dann wieder runter, dann wieder zurück, um irgendwann rechts abzubiegen. Irgendjemand traut sich, einen dort postierten Einsatzwagen mit Flaschen zu bewerfen. Sie prallen einfach ab.

Nach und nach strömen die Beinahe-Demonstranten weg vom Fischmarkt. „Haut ab, haut ab“, rufen sie noch schnell, um irgendwo in der lodernden Stadt abzutauchen. Kurz darauf marschiert kämpferisch ein kommunistisches Grüppchen und skandiert antikapitalistische Parolen, am Himmel steigt Rauch auf. Jemand hatte offenbar einen BMW angezündet. Wenige hundert Meter von der Hafenkante entfernt sammeln sich einige der versprengten Protestler wieder. Nobistor, das eine Ende der Reeperbahn. Dort an der Kreuzung haben die „Welcome-to-Hell“-Veranstalter eine Art Zwischencamp aufgebaut und geben sich unbeugsam. „Wir fordern unsere Stadt zurück und werden den Demozug wie geplant zum Ort unserer Abschlusskundgebung führen“, ruft eine Stimme in den lauwarmen Abend hinein.

So geht das die ganze Nacht

Die Polizei steht herum, zieht sich zurück, kommt wieder und genehmigt die Fortsetzung. Dabei haben die Kollegen mittlerweile überall in der Gegend zu tun. An den Landungsbrücken treiben sie Rest-Demonstranten vor sich her. Es brennt mittlerweile auch in der Schanze, am Pferdemarkt, in Altona. So geht es weiter bis spät in die Nacht. 

Read more on Source