Offener Brief in der «Bild»

Berlin (dpa) – Ungeachtet wachsender Spannungen mit der Regierung in Ankara hat Außenminister Sigmar Gabriel den hier lebenden Türken die Wertschätzung Deutschlands versichert.

«Sie, die türkischstämmigen Menschen in Deutschland, gehören zu uns – ob mit oder ohne deutschen Pass», schrieb der SPD-Politiker in einem auf deutsch und türkisch verbreiteten offenen Brief. Dies bleibe klar, gleichgültig wie schwierig die politischen Beziehungen seien. «Die Freundschaft zwischen Deutschen und Türken ist ein großer Schatz.» CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz machten sich wegen des autoritären Kurses der Türkei für weiteren finanziellen Druck stark.

Gabriel betonte mit Blick auf die
Neuausrichtung der Türkei-Politik: «Nichts davon richtet sich gegen die Menschen in der Türkei und unsere Mitbürger mit türkischen Wurzeln in Deutschland.» Die Bundesregierung könne der
Verhaftung unbescholtener Deutscher in der Türkei aber nicht tatenlos zusehen. «Wir müssen unsere Staatsbürger schützen», argumentierte der Minister in seinem offenen Brief, der auch in der «Bild»-Zeitung erschien.

Als Reaktion auf die Verhaftung des Menschenrechtlers Peter Steudtner und anderer Deutscher hatte Gabriel am Donnerstag Konsequenzen bekannt gegeben. Das Auswärtige Amt verschärfte seine Reisehinweise. Zudem stellt Deutschland die
Absicherung von Türkei-Geschäften der deutschen Wirtschaft durch sogenannte Hermes-Bürgschaften auf den Prüfstand. Überdacht werden sollen auch Investitionskredite, Wirtschaftshilfen und EU-Vorbeitrittshilfen.

Seehofer mahnte finanzielle Konsequenzen für die Regierung in Ankara an. «Was in der Türkei seit Monaten abläuft, ist unerträglich und indiskutabel», sagte der bayerische Ministerpräsident am Samstag bei einem CSU-Bezirksparteitag in Germering bei München. Die EU solle bis 2020 vorgesehene Zahlungen von gut vier Milliarden Euro an die Türkei als EU-Beitrittskandidat stoppen. Erneut wandte sich Seehofer gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union.

SPD-Chef Schulz forderte ebenfalls ein Einfrieren dieser Mittel für die Türkei. «Das sind konkrete Maßnahmen, die man sofort ergreifen kann», sagte er im Deutschlandfunk. Wenn Präsident Recep Tayyip Erdogan sage, man müsse Putschisten den Kopf abschlagen, und von der Todesstrafe rede, habe er Brücken zur EU abgebrochen. «Dann müsste man in dieser Logik auch die Beitrittsverhandlungen einstellen.»

Ob der Türkei Hilfen als EU-Beitrittskandidat gestrichen werden können, ist laut einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» (Samstag) indes fraglich. Im laufenden Programm IPA II gebe es eine frühere Klausel nicht mehr, dass die Wahrung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze eine Voraussetzung für die Gewährung der Hilfen sei. Nach einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags sei daher «eine Suspendierung der Hilfe nicht möglich, solange das Beitrittsverfahren der Türkei andauert».

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte vor einem Alleingang. Der schärfere Kurs sei richtig, um klar Eskalationsstufen aufzuzeigen und glaubwürdig zu bleiben. «Es sollte aber europäische Lösungen geben», sagte Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur. «Die Bundesregierung sollte auf Brüssel zugehen und auf eine gemeinsame Antwort dringen.» Am Ende könnten auch schärfere Schritte bis zu Sanktionen richtig sein.

Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger verlangte in der Zeitung «Die Welt»: «Wenn das Bundesaußenministerium davor warnt, in der Türkei Urlaub zu machen, muss es auch einen Abschiebestopp für türkische Staatsangehörige geben.»

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