Die Ansage ist deutlich: Präsident Emmanuel Macron „weicht zurück“, titelt die Pariser Abendzeitung „Le Monde“ am Dienstag. Es könnte ein entscheidender Tag nicht nur in der fünfjährigen Amtszeit des Präsidenten sein. Macron kennt bisher wenig anderes als Erfolg. Auch deshalb war er zuletzt für viele Demokraten, weit über Frankreich hinaus ein Hoffnungsträger.

Ist das jetzt alles vorbei?

Jedenfalls scheint seine Erfolgssträhne in Gefahr. Er muss einstecken und er wundert sich wahrscheinlich immer noch, wo der Angriff herkommt. Die sogenannten Gelbwesten hatte bis vor drei Wochen kein Mächtiger dieser Welt auf dem Zettel. Aber jetzt sind sie da: Leute in gelben Warnwesten, deren Namen keiner kennt, die aber Macrons Zugeständnisse schon am Tag ihrer Verkündung ablehnen. (Mehr über die Ziele der Bewegung finden Sie hier.)

Überall im Land werden sie von Reportern interviewt. Sie stehen an blockierten Kreiseln und Autobahnmautstellen, vor Supermärkten und Provinzrathäusern. Und alle sagen sie: zu wenig, zu spät, wir protestieren weiter.

Auch ein Rückzug muss gekonnt sein. Ist Macron darin womöglich ein Anfänger? Was er der Protestbewegung bietet, die seit drei Wochen das Land beschäftigt, ist jedenfalls nicht viel. Er selbst scheint sich auch zu schade, seine Antwort auf die Proteste selbst vorzutragen. Also muss es sein Premierminister Edouard Philippe tun, von dem noch am gleichen Tag die meisten Beobachter sagen werden, dass seine Zeit im zweithöchsten politischen Amt abläuft, wenn die Proteste weitergehen.

Philippe trägt an diesem Tag vor, was Macron entschieden hat: Eine für den 1. Januar geplante Erhöhung der Kraftstoff-Steuern soll für sechs Monate ausgesetzt werden. Auch die vorgesehene Angleichung des billigeren Diesel-Treibstoffs an den Benzinpreis soll für ein halbes Jahr aufgeschoben werden. Zusätzlich würden laut Plan auch Elektrizitäts- und Gaspreise nicht schon im Januar, sondern erst nach Ende des Winters steigen.

Die Forderungen gehen längst über Benzinpreise hinaus

Damit geht Macron vor allem auf die Anfangsforderung der Protestbewegung ein: Die hatte die gelbe Warnweste, die jeder Autofahrer dabei haben muss, als Symbol ihres Widerstand gegen die geplante Benzinsteuererhöhung gewählt. Deshalb findet bisher auch der meiste Protest auf Autorouten statt.

Allerdings haben sich die Forderungen der Bewegung seit ihrem ersten Protesttag am 17. November längst radikalisiert. Heute mobilisierte sie an drei Samstagen nacheinander mehr als 100.000 Menschen und findet laut Umfragen bei über drei Viertel der Franzosen Unterstützung. Nicht einmal die Gewaltszenen vom Wochenende in Paris scheinen daran etwas zu ändern.

Eskalation des Protests – die Bilder vom Wochenende:

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Proteste in Paris: Der Tag der Eskalation

Also ist am Samstag der nächste landesweite Protesttag geplant. Also fordert man jetzt viel mehr: „Nichts ändert sich“, sagte der „Gelbwesten“-Vertreter Christophe Chalencon am Dienstag im Fernsehen, „weil alle Maßnahmen für uns nicht mehr Kaufkraft bringen.“ Längst will die Bewegung etwas gewinnen, zum Beispiel einer Erhöhung des Mindestlohns, statt nur weitere Einbußen wie durch die Benzinsteuer zu vermeiden.

Die gefühlte Unruhe im Land schlägt an diesem Tag auch auf die französische Nationalversammlung durch, die erstmals über die Proteste diskutiert. „Sie reformieren das Land nicht, sie brutalisieren es“, sagte der konservative Abgeordnete Eric Woerth, der früher Finanzminister unter Präsident Nicolas Sarkozy war. „Ein großer Teil des Landes fühlt sich nicht mehr politisch repräsentiert“, warnte die liberale Abgeordnete Marielle de Sarnez. Und die rechtsextreme Marine Le Pen sprach von einem „realen Unverständnis der Regierung für das, was im Land geschieht“.

Es brodelt auch in Macrons Reihen

Dagegen wirkten die vielen, jungen Abgeordneten von Macrons Parlamentsmehrheit ziemlich unbeholfen. Sie vertraten die Benzinsteuer bis vor einer Woche noch als notwendige Ökosteuer. Jetzt gesteht Macrons Umweltminister Francois de Rugy vor dem Parlement, dass er sich „als Umweltminister vor einer nationalen Notwendigkeit zurücknehme“. Also keine Ökosteuer.

Schon Macrons Vorgänger Francois Hollande hatte eine solche Steuer unter Protesten zurückgezogen. „Wir sind weit davon entfernt, eine andere Politik als unsere Vorgänger zu machen“, bemängelte ein Angehöriger der Macron-Fraktion, der nicht mit Namen genannt werden wollte. Man spürte, wie viele Abgeordnete der Präsidentenpartei nicht im Reinen mit sich waren.

„Gelbwesten“-Randale: Video soll Polizeigewalt zeigen

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DPA

Das lag natürlich an ihrem unsichtbaren Präsidenten. Wusste dieser selbst, dass er noch viel mehr nachgeben muss, um die Protestbewegung zu befriedigen? War es also nur ein taktischer Rückzug, um dann wieder zum Angriff überzugehen, wenn die Proteste am Wochenende erneut in Gewalt ausarten?

„Der soziale Notstand existiert für diejenigen, die protestieren, jetzt – sie wollen keine langen Verhandlungen, sondern einen spürbaren Erfolg“, warnte die Pariser Wirtschaftsprofessorin Julia Cagé. Doch Macron tritt bisher lieber nicht in Erscheinung. Seine Amtsvorgänger Charles de Gaulle und Francois Mitterrand verhielten sich in vergleichbaren Situationen ähnlich. Aber sie hatten beide mehr Erfahrung.

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