Am Ende ging es dann ganz schnell. Nur wenige Stunden, nachdem Angela Merkel bei einer Veranstaltung in Berlin angekündigt hatte, die Union tendiere zu einer Gewissensentscheidung über die Ehe für alle, zeichnete sich ab: Noch an diesem Freitag könnte der Bundestag in dieser Frage entscheiden.
Und mehr als das: Zustimmen werden nicht nur die Abgeordneten von Grünen, Linken und SPD, die sich seit Jahren dafür starkmachen, homosexuelle Partnerschaften der Ehe zwischen Mann und Frau gleichzustellen. Auch die Unionsabgeordneten, die das unterstützen, sind frei, dies im Bundestag zum Ausdruck zu bringen. Die Union hat den Fraktionszwang aufgehoben.
Nicht mal einen ganzen Tag hat es also gedauert, den Durchbruch bei einem Thema zu schaffen, über das seit Jahren gestritten wurde und bei dem eine Lösung noch tags zuvor in weiter Ferne schien. Wie konnte das geschehen? Das ist die Frage, die alle politischen Beobachter an diesem durchaus historischen Dienstag umtreibt. Hat Angela Merkel sich einfach verplaudert? Oder verfolgte sie gar eine raffinierte Strategie, um ein schwieriges Thema, mit dem die anderen Parteien sie im Wahlkampf unter Druck setzen wollten, in letzter Sekunden abzuräumen?
Letztere Deutung ist wohl unzutreffend. In der Unionsfraktionssitzung am Dienstag versuchte Merkel ihren überrumpelten Abgeordneten jedenfalls klarzumachen, dass sie zwar grundsätzlich zu der Auffassung gekommen sei, dass bei diesem Thema einiges dafür spreche, darüber im Rahmen einer Gewissensentscheidung abzustimmen. Dass sie sich aber auch gewünscht hätte, dass man es zunächst mit „Würde und Tiefe“ diskutiert hätte. Und ganz bestimmt habe sie nicht beabsichtigt, dass die Entscheidung nun am letzten Sitzungstag der Legislaturperiode falle.
Ein Plan für die Zukunft
Merkel sagte wohl die Wahrheit. Dafür spricht, dass das Thema am Sonntag und Montag bereits in Präsidium und Vorstand der Partei diskutiert worden war. Die Ausgangslage war schließlich klar: Alle potenziellen Koalitionspartner der Union hatten sich in den Tagen zuvor darauf festgelegt, keinen Koalitionsvertrag ohne die Ehe für alle zu unterzeichnen. Die Union musste sich also bewegen. Eine Gewissensentscheidung schien da ein guter Ausweg zu sein. Doch niemand dort verstand das anders, als dass es sich dabei um einen Plan für die Zukunft handelte.
Dass es nun wohl anders kommt, liegt vor allem an der Chuzpe der SPD. Die nämlich begriff Merkels vorsichtige Äußerung – „Ich möchte die Diskussion mehr in die Situation führen, dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich jetzt per Mehrheitsbeschluss irgendwas durchpauke“ – sofort als Chance: Wenn Merkel selbst eine Gewissensentscheidung in Aussicht stelle, dann könne sie die auch gleich haben, nicht erst in einigen Jahren, beschloss der Führungszirkel noch am selben Abend.
Zwei Dinge hatte Merkel wohl unterschätzt: Dass die SPD, in der verzweifelten Lage, in der sie sich derzeit im Wahlkampf befindet, sich zu keinerlei koalitionärer Rücksichtnahme mehr verpflichtet sieht. Aber auch, dass mit einem Gesetzentwurf aus Rheinland-Pfalz bereits eine entscheidungsfähige Vorlage im Rechtsausschuss des Parlaments zur Ehe für alle liegt, die nun nur noch herausgeholt werden muss. Dass eine Abstimmung über diese Frage also auch rein technisch in den wenigen verbleibenden Sitzungstagen dieser Legislatur noch möglich sein würde.
Wenig konservativer Unmut
In der Unionsfraktion wurde der Merkelsche Betriebsunfall gleichwohl recht gelassen hingenommen. Kritik an der grundsätzlichen Entscheidung, jedem Abgeordneten selbst zu überlassen, wie er abstimmen wolle, habe es nicht gegeben, hieß es hinterher. Allein Ex-CSU-Minister Peter Ramsauer hatte sich am Vormittag öffentlich mit der Kritik hervorgewagt, die Union solle nicht noch mehr konservative Positionen räumen. CDU-Chef Horst Seehofer trug die generelle Linie einer Gewissensentscheidung dagegen mit.
Ansonsten überwog in der Union der Ärger über das Vorgehen der SPD. Zwar gab es auch einige Abgeordnete, die Merkel ausdrücklich dafür dankten, dass die Abstimmung freigegeben worden sei. Etwa zwei Drittel der Fraktion würden am Freitag aber wohl mit Nein stimmen, heißt es aus Fraktionskreisen. Darunter auch manche, die sich eine Zustimmung durchaus hätten vorstellen können – allerdings nicht unter diesen Bedingungen.
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