Nach einer Eskalation bei den Protesten in Hongkong plant die Regierung ein Vermummungsverbot. Regierungschefin Carrie Lam könnte dafür ein altes Notstandsgesetz aus der britischen Kolonialzeit bemühen. Diese Verschärfung ist hoch umstritten. Darüber berichten die „South China Morning Post“ und der Fernsehsender TVB. Der Schritt könnte demnach schon am Freitag während einer Kabinettssitzung vollzogen werden.
Außerdem haben Polizisten laut einer neuen Dienstvorschrift offenbar mehr Handlungsspielraum erhalten. Aus Dokumenten, in die die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte, geht hervor, dass die Beamten selbst darüber entscheiden dürfen, wie viel Gewalt sie bei schwierigen Einsätzen anwenden. Bisher war ihnen deutlich gemacht worden, dass sie für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden. Dieser Passus wurde gestrichen. Örtlichen Medien zufolge trat die neue Dienstvorschrift bereits am 30. September in Kraft.
Die seit fünf Monaten anhaltenden Demonstrationen waren am Dienstag zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik eskaliert. Erstmals wurde ein Demonstrant, ein 18-jähriger Student, angeschossen. Rund Hundert wurden verletzt. 269 Menschen wurden festgenommen – soviel wie nie zuvor an einem Tag.
Seit Ausbruch der Proteste sind damit rund 2000 Menschen festgenommen worden. Am frühen Donnerstagmorgen kam es bei neuen Demonstrationen zu Straßenschlachten. Die Polizeigewerkschaft fordert Ausgangssperre.
Aktivierung eines alten Notstandsgesetz
Der oppositionelle Abgeordnete Ted Hui bestätigte der Nachrichtenagentur dpa, dass die Regierungschefin ein Verbot von Gesichtsmasken bei öffentlichen Versammlungen durchsetzen wolle. Nach seiner Einschätzung wird ein entsprechendes Gesetz dem Legislativrat zur Annahme vorgelegt.
Demonstranten in Hongkong tragen Masken, um sich vor Tränengas zu schützen. Außerdem wollen sie verhindern, dass die Polizei sie identifiziert – beispielsweise mit einer Software für Gesichtserkennung. Wie das Vermummungsverbot in der Praxis durchgesetzt wird oder welche Strafen geplant sind, ist bislang offen.
Da das pekingfreundliche, nicht frei gewählte Parlament seit Wochen immer wieder belagert wird und das Vermummungsverbot sehr bald in Kraft treten soll, könnte sich die Regierung aber auch entscheiden, dafür das fast ein Jahrhundert alte Notstandsgesetz zu aktivieren. Ein solcher Schritt würde allerdings auf massiven Widerstand stoßen. Demonstranten sprechen in diesem Zusammenhang bereits von der „Verhängung von Kriegsrecht“.
Das Gesetz „für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr“ wurde 1922 von den britischen Kolonialherren erlassen und erst zweimal angewandt: Um im gleichen Jahr einen Streik von Seeleuten niederzuschlagen, der den Hafen lahmgelegt hatte, sowie 1967 bei Unruhen und Protesten prokommunistischer Kräfte gegen die britische Kolonialherrschaft.
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