Mit Hans-Christian Ströbele zieht sich einer der wenigen echten Konservativen der deutschen Politik aus dem Bundestag zurück. Sein Leben, in dem sich die Rollen als Anwalt, Politiker und Aktivist immer gegenseitig durchdrungen haben, spielt sich im Grunde – so hat es sein Biograf Stefan Reinecke beobachtet – seit Menschengedenken im gleichen Berliner Dreieck ab: zwischen der Gegend um die Jugendvollzugsanstalt Moabit, in der er selbst einmal wegen Verdachts auf Kassiberschmuggel für die von ihm verteidigten RAF-Gefangenen eingesessen hat, dem Reichstag und dem Kottbusser Tor in Kreuzberg, wo er 2002 das erste Direktmandat für die Grünen holte.

Wenn er da langfährt, mit seinem Fahrrad, dem grauen Haar, dem roten Schal und dem freundlichen Lächeln, dann rappeln sich oft auch sehr Betrunkene noch mal auf und rufen: „Herr Bürgermeister! Du bist Mensch jebliem!“ Er ist seit 50 Jahren verheiratet, fährt seit 70 Jahren in das Holzhaus seines Großvaters in Mannheim, und trifft sich zu Gesprächen gern beim immer gleichen Kuchen-Kaiser am Oranienplatz.

Vor allem aber, und das ist für die Grünen, deren Berliner Landesverband er mitbegründete, so bedeutsam, hat Hans-Christian Ströbele nie einen Grund gesehen, sich politisch zu korrigieren. Was er 1968 gedacht hat, nämlich dass der Kapitalismus ein fehlerhaftes System ist, dass die Weltrevolution noch aussteht und dass man den Verfassungsschutz abschaffen muss – all das denkt der Abgeordnete noch heute. Ströbele ist stolz auf den Scoop, beim NSA-Whistleblower Edward Snowden in Moskau gelandet zu sein. Es ist die Art von spektakulärem Aktivismus, die den Grünen sonst nur noch sehr selten gelingt.

Sein Rigorismus mag auch daher kommen, dass Hans-Christian Ströbele einer der wenigen Bundestagsabgeordneten ist, die noch mit einem Bein im Zweiten Weltkrieg stehen. 1939 geboren, spielte der Sohn eines Chemikers und einer anthroposophisch engagierten Juristin vor dem Elternhaus im ostdeutschen Halle an einer Granate herum. Als Ströbele kurz aufs Klo ging, explodierte die Granate und zerfetzte seinen Freund.

Die Grünen, deren politisch schwierigste Gratwanderung wohl die Bejahung humanitärer Interventionen war, konnten sich deshalb immer darauf verlassen, dass einer ganz sicher Nein sagen würde: Hans-Christian Ströbele. Kosovo, Bosnien, Afghanistan oder Mali – Ströbele macht da keinen Unterschied. Nein heißt Nein.

Unbeirrt freundlich

Er ist deshalb vielen gelegentlich ziemlich auf die Nerven gegangen. Aber hassen mochte ihn, soweit man das von außen beurteilen kann, niemand. Ströbele blieb sich auch darin treu, unbeirrt freundlich zu sein. Kaum jemand hat ihn je laut oder pampig werden hören, auch diejenigen nicht, die er in Untersuchungsausschüssen durch die Anwaltsmangel drehte.

Auch den Kampf gegen den Krebs hat Ströbele mit dieser Halsstarrigkeit aufgenommen. Das Gehen fällt ihm ein bisschen schwer. Die Fahrten zur Klinik, dann Bestrahluung und dann wieder in den nächsten Untersuchungsausschuss – das war auch für jemanden hart, der nie Alkohol trinkt, nie geraucht hat und keine Tasse Kaffee anrührt. „Noch mal vier Jahre, das ist mir zu stressig“ – so was hat Hans-Christian Ströbele noch nie gesagt. Dem nächsten Bundestag wird er nicht mehr angehören.

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