Sicherheitsbehörden ermitteln ohne konkrete Hinweise auf Straftaten gegen Bürger. Menschen werden ohne Urteil monatelang präventiv ins Gefängnis gesteckt. Die Polizei beschlagnahmt die persönliche Post oder schnüffelt in privaten Nachrichten Unbescholtener. Spielen diese Szenarien in Nordkorea? In Weißrussland? Oder in der DDR?
Nein, all dies könnte in nicht allzu ferner Zukunft auf die Menschen in Bayern zukommen, dem deutschen „Spitzenreiter bei der Inneren Sicherheit“ (Staatsministerium des Innern). Das befürchtet jedenfalls die Opposition im bayerischen Landtag, aber nicht nur die.
Hintergrund ist der „Gesetzentwurf zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts“, den die Landesregierung im Eiltempo noch bis zur Landtagswahl im November durchs Parlament bringen will. Das über 100 Seiten starke Dokument hat es nach Ansicht der Kritiker in sich: Grundrechte werden dramatisch ausgehölt, die Trennung von Geheimdienst und Polizei gefährlich aufgeweicht und die Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden drastisch ausgeweitet – so der Tenor.
Heftige Kritik am neuen Polizeigesetz in Bayern
Einen Vorgeschmack auf das, was den Bayern bevorstehen könnte, lieferte vor rund zwei Wochen das ARD-Magazin „Monitor“. Es zeigte den Fall einer Lehramtsstudentin, die sich wegen einer Theaterprobe zufällig in der Nähe von Linksaktivisten aufgehalten habe. Prompt sei sie ebenfalls ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten, sei überwacht worden, habe Meldeauflagen bekommen, ihre Daten seien an den Verfassungsschutz weitergeleitet worden. Aus der Studentin wurde dem Bericht zufolge im Handumdrehen eine Verdächtige. Zur falschen Zeit am falschen Ort und schon kann es mit der Berufslaufbahn als Lehrerin vorbei sei – wegen einer „drohenden Gefahr“.
So etwas könnte in Zukunft in Bayern häufiger geschehen, denn die Polizei soll durch die Gesetzesnovelle mit noch mehr Befugnissen ausgestattet werden – trotz lauten Widerspruchs von Experten und der Opposition im bayerischen Landtag.
Es ist vor allem das Konstrukt der „drohenden Gefahr“, das die Kritiker auf den Plan ruft. Hierdurch könnte die Polizei erhebliche Eingriffe in Grundrechte vornehmen – und das auch schon in Fällen der Alltagskriminalität und nicht nur bei terroristischen Bedrohungen, warnt etwa Katharina Schulte, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag. Die bisher notwendige „konkrete Gefahr“ wäre in Zukunft nicht mehr erforderlich.
Auch die Ausweitung der DNA-Analyse ruft bei den Grünen scharfe Kritik hervor – so soll Genmaterial dem Gesetzentwurf zufolge in Zukunft auch dazu dienen, das Alter und die Augen-, Haar- oder Hautfarbe eines Verdächtigen festzustellen – eine datenschutzrechtlich und ethisch sehr umstrittene Maßnahme. Schulze wirft der allein regierenden CSU einen „Überwachungswahn“ vor, der „zunehmend die verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger“ gefährde.
„Eines Rechtsstaates unwürdig“
Auch aus der größten Oppositionspartei im Landtag, der SPD, gibt es laute Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des geplanten Gesetzes. Es „greife (…) nicht nur bei Terroristen, wie es die Staatsregierung in ihren Beispielen vom Bombenbauer gerne darstellt, sondern bei ’normaler Kriminalität'“, erklärte Franz Schindler, Innenexperte der Bayern-SPD im Gespräch in der „Süddeutschen Zeitung“. Maßnahmen wie Onlinedurchsuchungen, die Überwachung von Telefon, Handy oder Post stünden den Sicherheitsbehörden in diesen Fällen fortan offen. Ein „Schreckensszenario“. Schindler warnte vor einer immer mehr im geheimen operierenden Polizei. In der Tat lässt das neue Gesetz die Grenzen der Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz verschwimmen; die Polizei wird ermächtigt, in immer größerem Stil persönliche und private Daten zu sammeln.
Doch auch abseits der parteipolitischen Bühne haben im Innen- und Verfassungsausschuss des bayerischen Landtags bereits mehrere externe Fachleute erhebliche Bedenken gegen die geplante Neufassung des Polizeigesetzes geäußert. Jeder bayerische Polizist habe im täglichen Einsatz künftig mehr Befugnisse bei der Gefahrenabwehr als das Bundeskriminalamt zur Terrorbekämpfung, kritisierte etwa der Münchener Richter Markus Löffelmann. Der frühere Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich führte in seiner Stellungnahme die DNA-Analysen bei Fällen an, in denen nur vermutet werde, dass eine Straftat begangen werden könnte. Von dieser „polizeilichen Wahnvermutung“ rate er dringend ab.
Der Strafrechtsexperte Hartmut Wächtler wählte dramatische Worte: Mit dem neuen Gesetz würde die „größte und umfassendste Kontrollkompetenz für eine Polizei in Deutschland“ seit dem Ende des Nationalsozialismus im Jahr 1945 geschaffen. Er kritisierte dabei vor allem die sogenannten Präventivhaft. Bei der präventiven Festnahme von möglicherweise gefährlichen Personen, die per richterlicher Verfügung unbegrenzt andauern könne, werde den Betroffenen kein Verteidiger gewährt. Ein Beschuldigter, der noch nichts getan habe, sei damit schlechter gestellt, als ein Verdächtiger im Strafverfahren. Dies sei „eines Rechtsstaats unwürdig“.
Andere Experten hingegen nannten das geplante Gesetz verfassungsgemäß, angesichts sich verändernder Bedrohungsszenarien teilweise sogar für dringend geboten.
So sieht es naturgemäß auch die CSU, schließlich kommt das Gesetz von ihr. Sie kann oder will die Aufregung nicht verstehen. Ihr Innenexperte Manfred Ländner erklärte, er habe keine Hinweise darauf, dass gegen unbescholtene Bürger vorgegangen werden solle. Diese hätten im Gegenteil ein Anrecht darauf, vom Staat vor neuen Gefahren geschützt zu werden. Und Bayerns Innenminister Joachim Hermann? Der erklärte schon bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes, dass die Neuregelung, eine „klare Stärkung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Bayern“ bedeute. „Bayern hat schon jetzt das effektivste Polizeirecht in ganz Deutschland. Mit unserem Gesetzespaket bauen wir diese bundesweite Spitzenposition jetzt noch weiter aus.“
Es gibt keinen Zweifel: Die bayerische Staatsregierung hält an ihrem „Gesetzentwurf zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts“ fest – trotz aller Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit. Möglicherweise soll das Gesetz schon im April den Landtag passieren. Doch auch dann dürfte der Streit noch nicht vorbei sein.
Die Grünen haben bereits angekündigt, das Gesetz höchstrichterlich überprüfen zu lassen. Dann muss das Verfassungsgericht entscheiden, welchen Preis die Bayern für das Sicherheitsversprechen ihres Innenministers zahlen müssen. Und ob die bayerische Regelung zur möglichen Blaupause für das geplante Musterpolizeigesetz von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) taugt.
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