Das Doklam-Plateau ist ein gottverlassener Ort in der Himalaya-Region, knapp 3000 Meter hoch, wenig besiedelt – und sorgt doch derzeit für die bedrohlichsten Spannungen zwischen den benachbarten Atommächten China und Indien seit Jahrzehnten.

Im Juni rückten chinesische Soldaten mit Planierraupen und Bulldozern an, um eine Straße zu verlängern, vermutlich um dem eigenen Militär den Weg zu erleichtern. Das winzige Bhutan sah mit diesem Schritt bestehende Grenzvereinbarungen verletzt und rief den militärisch verbündeten Nachbarn Indien zu Hilfe. Der wiederum schickte Truppen, die auf dem Plateau den Bauarbeiten der Chinesen Einhalt gebieten sollten.

Der Hintergrund des Streits: Die Regierung in Peking beansprucht das Gebiet nahe der Tibet-Region für sich. Bhutan sieht das anders und besteht auf Vereinbarungen von 1988 und 1998, die den friedlichen Status Quo festschreiben. Sie verbieten beiden Seiten den Einsatz von Waffen.

SPIEGEL ONLINE

Streitigkeiten über Grenzverläufe im Himalaya zwischen den Regierungen in Peking und Neu Delhi haben bereits 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Mächten geführt, aus dem China als Sieger hervorging.

Nun drohen die Spannungen in dem Drei-Länder-Gebiet erneut zu eskalieren. China werde sein Territorium „um jeden Preis“ verteidigen, teilte ein Sprecher des Pekinger Verteidigungsministeriums mit. Chinas Volksbefreiungsarmee habe „erste Gegenmaßnahmen“ eingeleitet und werde die Truppen im Grenzgebiet gezielt aufstocken. Indien solle sein Schicksal „nicht dem Zufall überlassen und sich keine unrealistische Vorstellungen machen“.

In den staatlichen Zeitungen der Kommunisten sind die Drohungen noch deutlicher: „Dieses Mal müssen wir Neu Delhi eine bittere Lektion erteilen“, schreibt etwa die „Global Times“. An anderer Stelle heißt es in dem Verlautbarungsorgan der Regierung: „Das indische Militär kann sich dazu entscheiden, seine Truppen in Würde wieder abzuziehen, oder sie werden von den chinesischen Soldaten aus dem Gebiet geworfen.“

Der offiziellen Version zufolge sollen indische Truppen Hütten auf dem umstrittenen Gebiet aufgestellt haben, daran habe sich der Streit entzündet. Als Beleg veröffentlichte die Regierung in Peking dieses Bild:

Embassy of the People’s Republic of China

In einem Kommentar auf der Militär-Website China Military Online hieß es, ein bewaffneter Konflikt der beiden Atommächte könne nicht ausgeschlossen werden. Ein Szenario das bislang nicht viele Experten für realistisch halten. Dennoch: „Selbst wenn die Situation diplomatisch gelöst werden kann, belastet sie jetzt schon das bilaterale Verhältnis“, schrieb der Indien-Experte Long Xingchun der „Global Times“. „Das wird einen langanhaltenden Effekt auf die chinesisch-indischen Beziehungen haben.“

Bisher liefert der China-Indien-Streit um die Militärstraße vor allem bizarre Szenen: Um unnötige Eskalationen in der Region zu vermeiden, sind die Truppen in dem Gebiet selten bewaffnet unterwegs. Das indische Fernsehen veröffentlichte vor wenigen Wochen vermeintliche Zusammenstöße der Truppen. In dem Video ist zu sehen, wie sich die Männer gegenseitig schubsen und versuchen, die Rivalen durch Körpereinsatz zurückzudrängen. Zu ernsteren Auseinandersetzungen scheint es noch nicht gekommen zu sein.

Indien hält sich in der Bewertung des Falls bislang relativ bedeckt – anders als China, das fast täglich über staatliche Zeitungen und Ministerien neue Drohungen veröffentlicht. Der indische Verteidigungsminister Arun Jaitley teilte in einer der wenigen Stellungnahmen dazu mit: „Das Indien von 2017 unterscheidet sich von dem von 1962“. Armee-Chef Bipin Rawat sagte, sein Land sei bereit, einen Krieg an zweieinhalb Fronten zu führen – gemeint sind damit China, Pakistan und andere innerindische Gegner, etwa in der Region Kaschmir.

Indische Politiker nach einer Sondersitzung zum Streit mit China

RAJAT GUPTA/ EPA/ REX/ Shutterstock

Indische Politiker nach einer Sondersitzung zum Streit mit China

Nach Einschätzung des Geostrategen Brahma Chellaney im „Asian Review“ wird es für beide Atommächte schwer, aus dem Konflikt als Sieger hervor zu gehen. Je länger sich China mit seiner harten Rhetorik Kompromissen verweigere, desto weniger Handlungsoptionen habe es, schreibt Chellaney.

Selbst wenn Peking seinen Truppen doch noch das Zeichen zum Angriff gebe, seien sie mit der Region weniger vertraut als die indischen und riskierten damit einen Niederlage. Aber auch Indien zeige Schwäche: So haben die Regierung den verbalen Angriffen aus Peking kaum etwas entgegenzusetzen. Dadurch fühle sich China ignoriert – und ergo provoziert.

Offiziell sollen indische Diplomaten an Optionen für eine friedliche Lösung arbeiten. Voraussetzung wäre aber der Abzug aller Truppen – eine Bedingung, auf die sich China kaum einlassen kann, will die Regierung in Peking ihr Gesicht wahren. Im Herbst steht der Parteitag der Kommunistischen Partei in Peking an, bei dem sich Präsident Xi Jinping als starker Führer inszenieren will, worauf nicht zuletzt die Ausweitung der Militärpräsenz Chinas schließen lässt.

Ein Einknicken vor der indischen Regierung passt da nicht ins Programm.

Read more on Source