Nach vier Monaten in türkischer Untersuchungshaft konnte Menschenrechtler Peter Steudtner am Donnerstag in Berlin endlich wieder seine Lebensgefährtin und die zwei Kinder in die Arme schließen. Überraschend war zuvor ein Haftbefehl von einem Gericht in Istanbul aufgehoben worden. Zuvor hatte Altkanzler Gerhard Schröder auf Bitten der Bundesregierung in der Türkei mit Präsident Erdogan gesprochen.
Doch noch immer sitzen zehn andere Deutsche in türkischen Gefängnissen – und es gibt erhebliche Zweifel, dass es in ihren Fällen ebenfalls bald zu einer Lösung kommen könnte.
So knüpft der Anwalt der deutschen Journalistin Mesale Tolu an die Entlassung Steudtners keine großen Erwartungen für seine Mandantin. „Die Politik der Türkei folgt zumindest an dieser Stelle keiner Rationalität“, sagte der Berliner Jurist Dieter Hummel der „Frankfurter Rundschau“. „Wir können nur hoffen.“
Die 32-jährige Mesale Tolu wurde am 30. April in Istanbul festgenommen. Sie arbeitete in Istanbul als Journalistin und Übersetzerin für die linke Agentur Etha. Nun sitzt sie mit ihrem zweijährigen Sohn im Gefängnis.
Beim Prozessauftakt im Oktober hatte sie ihre Freilassung und ihren Freispruch gefordert. Tolu kritisierte, dass sie seit mehr als fünf Monaten ohne Urteil eingesperrt werde. Auch ihr Ehemann befinde sich in U-Haft. „Deswegen lebt mein Sohn, der eigentlich in den Kindergarten gehen müsste, seit fünf Monaten mit mir im Gefängnis“, sagte sie. „Aus diesem Grund ist die Untersuchungshaft nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie und für meinen Sohn zur Bestrafung geworden.“
„Die Vorwürfe sind bei Mesale Tolu wie bei Peter Steudtner schlicht an den Haaren herbeigezogen und durch keinen einzigen objektiven Beweis belegt“, sagte ihr Anwalt. „Frau Tolu im Knast sitzen zu lassen, während Steudtner freigelassen wird, ist Willkür.“
Der Rechtsanwalt sprach von einer „nachhaltigen und nachdrücklichen Betreuung“ seiner Mandantin durch das deutsche Konsulat in Istanbul. „Ich weiß nicht genau, welcher diplomatische Druck ausgeübt wird. Aber ich habe keine Veranlassung anzunehmen, dass er im Fall Tolu geringer ist als im Fall Steudtner“, sagte Hummel.
An der Freilassung Steudtners hatte die deutsche Diplomatie im Hintergrund erfolgreich mitgewirkt (mehr dazu lesen Sie hier).
SPD-Chef Martin Schulz bewertete die Freilassung Steudtner als gutes Signal, „mehr aber auch nicht.“ Er forderte Ankara auf, die Politik grundlegend zu ändern. „Die türkische Regierung darf Rechtsstaatlichkeit und internationale Kooperationen nicht weiter infrage stellen“, sagte Schulz der Funke Mediengruppe. Ansonsten werde die Distanz zur EU noch größer werden.
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