Israel: Kein Platz mehr für internen Streit

Israel: Kein Platz mehr für internen Streit

Die Gewalt selbst ist, wie immer, noch am
leichtesten zu bilanzieren: Am Dienstagmorgen startete Israel die Operation
„Schild und Pfeil“, nachdem der palästinensische Islamische Dschihad immer
wieder Raketen Richtung Israel geschossen hatte. Vier führende Terroristen hat
Israels Armee bei Luftangriffen seitdem getötet und mehrere Waffenlager
zerstört. Insgesamt starben nach Angaben des palästinensischen
Gesundheitsministeriums bisher 31 Palästinenser, darunter sechs Kinder und drei
Frauen. Der Islamische Dschihad reagierte, indem er bisher knapp 900 Raketen
auf Israel abfeuerte. Eine davon schlug am Donnerstagabend in ein Wohnhaus in
Rechovot ein, einer Stadt südlich von Tel Aviv. Ein Mensch wurde dabei getötet.
Normalerweise fängt das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome die Raketen
ab. Doch diesmal, so das Militär, habe es einen technischen Fehler gegeben,
weswegen das Haus in Rechovot getroffen wurde. Am Freitagnachmittag dann flogen
auch erste Raketen Richtung Jerusalem – ein symbolisches Ziel im Nahostkonflikt
und möglicherweise der Schritt zu einer weiteren Eskalation.

Das ist also die Zwischenbilanz nach vier
Tagen. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, warum und wie es gerade jetzt
zu dieser Eskalation kommt.

Vor mehr als einer Woche starb Chader
Adnan, ehemals führendes Mitglied des Islamischen Dschihad, in einem
israelischen Gefängnis. Adnan war zuvor 87 Tagen im Hungerstreik gewesen.
Israel wendet in solchen Fällen keine Zwangsernährung an. Adnans Organisation,
der palästinensische islamische Dschihad, verfolgt keine innenpolitische
Agenda. Sie kontrolliert kein Gebiet, wie etwa die Hamas den Gazastreifen,
sondern verfolgt allein das Ziel, Israel zu zerstören. Trotzdem war, wie
mehrere Medien berichten, Adnans Hungerstreik auch innerhalb der Organisation
umstritten, manchen war er zu radikal. Aber klar war immer: Wenn Adnan stirbt,
werden wieder Raketen aus Gaza auf Israel fliegen.

Gegenangriff wurde im Stillen geplant

Deshalb bereitete Israel im Stillen die Operation
„Schild und Pfeil“
als überraschenden Gegenangriff vor. Tausende Bewohner an der Grenze zu Gaza
wurden evakuiert. Die Kommunen im Zentrum des Landes öffneten die öffentlichen
Schutzbunker, noch bevor die erste Rakete als Reaktion auf den Beginn der
Luftangriffe flog.

Im Stillen heißt auch: ohne die rechtsextremen
Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich einzubeziehen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu agierte allein. Man habe nicht riskieren
wollen, dass die Operation vorher nach außen kommuniziert werden könne, hieß es
dazu.

Das ist die eine, die innenpolitische
Geschichte dieser Eskalation: Seitdem der Militäreinsatz läuft, tritt Netanjahu
gemeinsam mit Verteidigungsminister Joaw Galant auf. Ein Zeichen der
Geschlossenheit nach Monaten internen Streits. Galant hatte sich vor Wochen
öffentlich gegen die umstrittene, derzeit auf Eis gelegte Justizreform
gestellt, war von seinem Parteikollegen Netanjahu dafür zunächst gefeuert
worden. Bald zog Netanjahu seine Entscheidung zurück, und das hat wiederum viel
mit der zweiten, der geopolitischen Geschichte dieser Eskalation zu tun: Für
Israels Feinde, allen voran Iran und seinen im Libanon aktiven Stellvertreter
Hisbollah, waren die Konflikte in Israel und in der Regierung eine zu gute
Nachricht. Sie regten ihre Auslöschungsfantasien an. Das die vergangenen
Jahrzehnte so starke Israel wirkte plötzlich schwach wie lange nicht mehr.
Ausgerechnet jetzt, da internationale Sicherheitskreise warnen, der Iran stehe
kurz davor, genug Uran für eine Atombombe angereichert zu haben. Der Islamische
Dschihad, dessen Terroristen Israel nun jagt, ist ein Proxy des Iran und
seiner Vernichtungsfantasien. Die Organisation nutzt nach Angaben der
israelischen Armee für ihre Angriffe Raketen aus iranischen Beständen.

Das ist der größere Kontext der jetzigen
Eskalation. Und das ist der Grund, weswegen Israels Verteidigungsminister
Galant in einem Interview schon vor zwei Wochen von einer „neuen geopolitischen
Ära“ sprach.

Man stelle sich auf einen Krieg an
„mehreren Fronten“ ein, hieß es schon zu Beginn von „Schild und Pfeil“, was vor
allem von einer Frage abhing: Würde die strategisch wie militärisch dem Islamischen Dschihad deutlich überlegene Hamas ebenfalls eingreifen?

Bisher aber hält sich die Hamas heraus,
bekräftigt stattdessen vielmehr ihr Interesse an einer schnellen Waffenruhe.
Laut Medienberichten gab es dazu bereits Gespräche, unter ägyptischer
Vermittlung. Die Sorge der Hamas: Je länger die Eskalation dauert, desto höher
ist die Wahrscheinlichkeit ziviler Opfer auf palästinensischer Seite – und
desto größer wird der Druck für die Hamas, doch zu reagieren.

David’s Sling erstmals im Einsatz

Unter Druck steht auch Israel. Allen voran
die USA drängen zu einer schnellen Vereinbarung mit den Gegnern. Die
innenpolitische Krise Israels hat das Verhältnis zum wichtigsten Partner und
Geldgeber für Militärausgaben stark belastet. Eine Million US-Dollar kostete
allein eine einzige Abfangrakete aus dem neuen Abwehrsystem David’s Sling, das
anders als Iron Dome nicht nur auf Kurzstrecken-, sondern auch auf
Langstreckengeschosse spezialisiert ist. Am Mittwoch dieser Woche kam David’s Sling
erstmals zum Einsatz.

Die Bedrohung von außen führt innerhalb
Israels derweil zu einem bekannten Phänomen: Plötzlich ist kein Platz mehr für
internen Streit. Selbst die Opposition steht hinter der Militäroperation und
damit hinter der Regierung. Netanjahu, der zuletzt in Umfragen drastisch an
Zustimmung verloren hat, profitiert von der aktuellen Lage. Das Land wirkt
wieder geeint, zumindest für den Moment. Allerdings, spricht man mit
israelischen Journalistinnen und Journalisten, linken wie rechten, warnen sie
davor, Ursache und Wirkung zu verwechseln: Der Grund für die erneute Gewalt
seien keine innenpolitischen Überlegungen, sondern allein und ausschließlich
die Gefahr aus Teheran.

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