Giuseppe Conte hat am Dienstag einen wichtigen Termin in Straßburg. Italiens Ministerpräsident will mit Abgeordneten des EU-Parlaments und einigen Kommissaren über die Zukunft Europas diskutieren. Er wird sich unbequemen Fragen stellen müssen, die derzeit viele Europäer umtreibt, allen voran: Was soll der Zoff zwischen den EU-Partnern Frankreich und Italien?
Einer hat schon vorab gesagt, was er von dem Nachbarschaftsstreit hält – ganz ohne Worte: Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat leider keine Zeit, sich die Erklärungen von Conte anzuhören. Manfred Weber (CSU) ist ebenfalls ziemlich deutlich.
Der Vorsitzende der konservativen EU-Parlamentsfraktion und mögliche Nachfolger Junckers sagte unlängst: „Italien sollte aufhören, sich mit Paris, Berlin und Brüssel wegen eigener Wirtschaftsprobleme anzulegen, und sich lieber selbst der Verantwortung stellen“.
Klar ist: Conte wird es in Straßburg nicht einfach haben. Zumal er nichts anzubieten hat. Zwar sitzt er im römischen Regierungspalast nominell auf dem Chefsessel, die Entscheidungen treffen aber die beiden Vizepremiers – der Chef der rechtsnationalen Lega, Matteo Salvini, und der Wortführer der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung Luigi Di Maio. Und: Die beiden Politiker sind für den Streit mit Frankreich maßgeblich verantwortlich.
Aggressive Auseinandersetzung zwischen Paris und Rom
An dessen Anfang stand die Flüchtlingspolitik: Um den Jahreswechsel weigerte sich die Regierung in Rom, aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Land zu lassen. Die Menschen mussten mehr als zwei Wochen an Bord eines viel zu kleinen Schiffes auf dem Meer ausharren. Die Folge:
- Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete dieses Vorgehen als „verantwortungslos“ und „zynisch“.
- Luigi Di Maio konterte das mit dem Vorwurf des „französischen Neokolonialismus“ in Afrika, der die Migration forciert habe.
- Macron antwortete auf seine Weise. Er ordnete die Streitparteien grundsätzlich ein: in „Progressive“, also Länder wie Frankreich, und in „Populisten“, wie Italien.
Zwar nannte der französische Präsident Italien nicht namentlich, aber es war offensichtlich, dass er auf die Regierung in Rom abzielte. Zumal er hinzufügte, dass „die“ – also populistische Politiker wie Di Maio und Salvini – mittlerweile in ganz Europa „wie Aussatz wachsen“, auch dort, wo man gedacht hätte, „die“ kämen nie wieder.
Das französische Fernsehen zeigte dazu Bilder von Ungarns Premierminister Viktor Orbán mit Salvini. Der ließ diese Aussage nicht auf sich sitzen und teilte mit, er hoffe, dass die Franzosen ihren „sehr schlechten Präsidenten“ bald abwählen. Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella rief anschließend zur Mäßigung auf. Mit ein wenig Erfolg:
- Premier Conte beschwor die „historische Freundschaft mit Frankreich“,
- Außenminister Moavero Milanesi sprach von „Freunden, Verbündeten“,
- und selbst Salvini gelobte Besserung.
Nur Di Maio und seine Fünf-Sterne-Bewegung blieben hart. Macron ist ihr „politischer Feind“. Mit drei führenden Europa-Abgeordneten seiner Bewegung besuchte Di Maio Anfang Februar sogar Vertreter der französischen Gelbwesten, darunter auch Christophe Chalençon. Der 52-jährige Schmied ist als rechtsradikaler Macron-Gegner bekannt und wünscht sich den französischen Generalstabschef an der Spitze des Staates – sonst sei „der Bürgerkrieg in Frankreich unausweichlich“.
„Gelbwesten, lasst nicht nach!“
Di Maio erklärte, bei den Gelbwesten fühle er „denselben Geist“ wie in seiner Fünf-Sterne-Bewegung. Er möchte die französische Protestgruppe in seinen künftigen Fraktionsverbund im EU-Parlament aufnehmen – ein Projekt, das Di Maio seit Langem umtreibt und für das er bislang vor allem in Osteuropa geworben hat. Zum Abschied sagte er: „Und ihr, Gelbwesten, lasst nicht nach!“
Macron war entsetzt. Er berief den französischen Botschafter in Rom ab. Es gibt keine schärfere diplomatische Reaktion als diese. Das letzte Mal, dass Paris seinen Botschafter in Rom abgezogen hat, war 1940. In Italien regierten die Faschisten von Benito Mussolini, und deren deutsche Verbündete hatten schon Polen überfallen. Deutlicher kann eine Regierung ihren Zorn nicht zeigen. Aber Di Maio nahm auch das eher entspannt auf.
Fünf-Sterne-Bewegung verliert an Zustimmung
Der Grund: Der Streit mit Frankreich kommt ihm nicht ungelegen. Er steht vor etlichen Regional- und Kommunalwahlen. Zudem finden im Mai die Europawahlen statt, deren Ausgang zum Ende der römischen Lega-Sterne-Koalition führen kann. Di Maios Bewegung verliert jedoch bei den italienischen Wählern an Beliebtheit:
- Bei den Regionalwahlen in den Abruzzen am Wochenende erlebte der Sterne-Anführer ein Debakel. Statt 40 Prozent, wie im März vergangenen Jahres, votierten nur noch 20 Prozent der Wähler für die Protestbewegung. Sie fiel damit vom ersten Platz auf den dritten.
- Über die Ablösung Di Maios wird mittlerweile offen diskutiert. Er weiß, er braucht dringend ein Feindbild, gegen das er – vermeintlich im Namen Italiens – kämpfen kann. Sonst funktioniert sein Populismus nicht.
Deshalb sucht er nun den Streit mit Macron. Zumal die Rivalität zwischen Frankreich und Italien bereits länger schwelt, etwa in Libyen: Beide Regierungen versuchen, sich mithilfe verbündeter Milizen möglichst große Anteile an den reichen Ölquellen zu sichern. Und Frankreichs Verbündete vor Ort scheinen gegenwärtig auf dem Vormarsch.
Berlusconi warnt vor wirtschaftlichen Folgen des Streits
Allein: Die Kosten eines Streits mit Frankreich sind – politisch wie ökonomisch – riesig. Nach Deutschland ist Frankreich der wichtigste Handelspartner für Italien. Der beiderseitige Handel bringt Italien einen Überschuss von 6,7 Milliarden Euro, die beiden Volkswirtschaften sind eng verflochten. Trotzdem gibt es bereits erste gravierende Risse in den bilateralen Beziehungen:
- Die Rettung der hochverschuldeten Fluglinie Alitalia durch den Einstieg von Air France und Delta Airlines ist erst einmal vom Tisch.
- Ein Treffen von Staatsanwälten aus den Innenministerien beider Länder zur Sichtung neuer Auslieferungsersuche aus Rom – etwa zu italienischen Ex-Terroristen, die in Frankreich leben – wurde abgesagt.
- Die geplante italienisch-französische Allianz der Schiffbauer Fincantieri und Chantiers de l’Atlantique liegt auf Eis.
Selbst Silvio Berlusconi ist alarmiert. „Wir sind alle betroffen von dem, was die Sterne-Bewegung dem Land antut“, sagte er unlängst. Sein Unternehmen habe in den vergangenen Tagen „über 100 Millionen Euro an Wert verloren“.
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